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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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Rande mit Wasser gefüllten Aluminiumtopf zur Kochstelle, um ihren Hausfrauenpflichten nachzukommen.
    Beide Herren taten klugerweise so, als hätten sie die Frage überhört, und widersprachen Marion nicht. Sie nickten sich jedoch, der eine Kaffee mahlend und der andere an seiner Hand saugend, hinter Marions Rücken mit Blicken voller herzlicher Anteilnahme gegenseitig zu. Der lahme Spirituskocher hatte sich inzwischen eines Besseren besonnen, er zischte tatendurstig auf.
    Direktor Keyser zuckte bei diesem Geräusch leicht zusammen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Er hatte eine unüberwindliche Scheu vor zischenden Spirituskochern, auch wenn es sich um Hartspiritus handelte. Bitte sehr, las man nicht oft genug in den Zeitungen schreckliche Dinge über Brände und Explosionen, bei denen ganze Häuser einstürzten und Dutzende von Menschen begraben wurden? Er hütete sich aber, darüber ein Wort zu verlieren, da er Marions Meinung über diesen Punkt bereits kannte. Statt dessen streifte er den Topf mit einem düsteren Blick und murmelte: »Hm — Flußwasser... Unfiltriert!« Er wollte seine Tochter Marion damit beileibe nicht in den Verdacht bringen, daß sie ihn mit Typhusbakterien und ähnlichen Unappetitlichkeiten vergiften wolle. Nein, er stellte es nur ganz sachlich fest und bemühte sich dabei, den Tatsachen und dem Kaffee mit Mut und Entschlossenheit zu begegnen.
    Marion tat das, was sie sehr oft tat: sie beachtete den Einwurf ihres Vaters nicht.
    Dafür fühlte sich jedoch Herr Steffen bemüßigt, das Thema weiter auszuspinnen. Schließlich war er erst vierunddreißig Jahre alt, und das Leben lag noch so schön vor ihm. Bei den Aussichten, die ihm eine notorisch langlebige Familie gab, hatte er keinesfalls die Absicht, sich allzu rasch zu seinen Ahnen zu versammeln. Sein Vater war vor wenigen Monaten sechsundsiebzig geworden, und sein Großpapa war sogar erst mit fünfundneunzig zur ewigen Ruhe gegangen.
    »Haben Sie jemals unfiltriertes Wasser unter einem Mikroskop betrachtet, Fräulein Marion?« fragte er mit dem Ernst eines Biologen, der zu einem Vortrag über die Wunder der Kleinwelt ansetzt.
    »Natürlich«, antwortete Marion völlig unbefangen, »es ist ungeheuer interessant. In jedem Tropfen wimmelt ein ganzer Kosmos von Lebewesen.« Dabei setzte sie den Topf, dessen Überfülle der Flamme gefährlich zu werden drohte, an die Lippen und trank mit einem durstigen Zuge einige Millionen Amöbchen, Pantoffeltierchen und was sonst noch in diesem Naß schwimmen mochte, in sich hinein.
    Das war so ihre Art. Wenn daheim zwei Flaschen ohne Aufschrift in der Speisekammer standen, und man in der einen Entwicklerlösung und in der anderen einen Weinrest vermutete, den die Köchin für die Bratensoße verwenden wollte, dann probierte Marion es kurz entschlossen aus und sagte zum Schluß: »Nehmen Sie die andere Flasche, Wally! Was ich aus dieser hier getrunken habe, war Metolhydrochinon.«
    So einfach löste sie die schwierigsten Probleme.
    Und das war der einzige Unterschied zwischen den beiden Herren, daß Direktor Keyser, sooft auf dieser bisher achttägigen Faltbootfahrt ähnliche Komplikationen von Marion ähnlich einfach gelöst wurden, seine Augen mit einem hauchzarten Seufzer der Ergebenheit schloß, während Herr Steffen sie aufriß und dabei aussah, als hätten sich seine Augäpfel plötzlich in Mottenkugeln verwandelt. Und das war schließlich zu verstehen, denn
    Herr Direktor Keyser kannte seine bildhübsche Tochter nunmehr seit dreiundzwanzig Jahren, während Herr Thomas Steffen dieses Vergnügen erst seit wenig mehr als zwei Jahren genoß.
    Damals hatte sich nämlich Thomas Steffen mit einem ererbten Kapital von beträchtlicher Höhe mit Direktor Keyser assozieert und sich nicht nur als ein kapitalkräftiger, sondern auch als ein Partner mit bemerkenswerten kaufmännischen und organisatorischen Fähigkeiten erwiesen. Denn er beschränkte sich nicht etwa darauf, still und vergnügt die Zinsen seines in die >Keysersche Druckanstalt< investierten Erbes zu verzehren, sondern er stürzte sich mit feurigem Eifer auf die aktive Teilnahme am Geschäft. Und zweifellos waren seinem ungetrübten Blick mehrere Neuerungen zu verdanken, die man im Trott der Gewohnheit durch drei Keyser-Generationen zwar ohne unmittelbare Nachteile, aber auch ohne nachweisbaren Gewinn für das Unternehmen mitgeschleppt hatte. Und es war auch nicht zu übersehen, daß er über eine Menge ausgezeichneter Beziehungen verfügte
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