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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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Man winkt ihm zu, als er einschwebt, er erkennt seine Mechaniker Fritz Boddien und Willi Knoblig, die wie verrückt die Arme schwenken und zu ihm hinaufdeuten. Was die wohl haben mögen? Und da braust ein Kraftwagen über das Feld, unzweifelhaft ein Sanitätsauto, denn er erkennt die roten Kreuze an den Seiten. Die Rollbahn wird nicht freigegeben, er muß noch einmal Höhe nehmen und kurvt über die Hangars hinweg, um zum zweitenmal auf seine Bahn einzufliegen. Verdammt noch einmal, die Idioten sollen doch endlich die Rollbahn frei machen, denn der Sprit geht allmählich zur Neige. Er kurvt ein. Noch immer ist die Betonbahn voller Leute. Ah, sie legen mannsgroße Buchstaben aus, na, da sind wir ja mal neugierig, was die einem zu telegrafieren haben. Es geht verdammt langsam mit dem Buchstabenauslegen. Da liegt zunächst einmal ein R und dann ein E und dann kommt ein C und ein H...Wirklich gespannt, was das werden soll. Wieder muß er die Motte hoch- und über die Hangars wegziehen, dieses Mal in einer größeren Kurve, um denen dort unten Zeit zu geben, ihre Botschaft auszulegen. Er zieht einen Kreis, der den Mechanikern etwa fünf Minuten gibt, mit ihrer Arbeit fertig zu werden, und dann nimmt er wieder Kurs auf die Rollbahn. Endlich hat man sie frei gemacht, die Menschen tummeln sich dafür auf den Grünflächen herum, und das Sanitätsauto hält ebenfalls noch dicht neben der Bahn. Und was dort zu lesen steht, groß und überdeutlich, in weiß strahlenden Buchstaben, lautet:

    RECHTES RAD AB!

    Für einen Augenblick wird es ihm siedend heiß. Und im nächsten eiskalt. Plötzlich weiß er, das war der kleine Ruck, die winzige Gewichtsverlagerung, die er gespürt hatte, als sich die Maschine vom Boden löste. Und jetzt weiß er auch, daß es ihm so war, als hätte er etwas in rasender Geschwindigkeit über die Grünfläche huschen sehen, einen grauen Schatten, den er für ein aufgestöbertes Tier, einen Hund oder einen Hasen gehalten hatte. Er hatte also das rechte Rad verloren. Und nun? Anhalten müßte man können, und aussteigen müßte man können. Kann man aber nicht. Sondern man kann nur noch eine elegante Bruchlandung machen und sich, wenn man Glück hat, nicht mehr Knochen brechen, als es unbedingt vonnöten ist. Und es wird höchste Zeit, herunterzukommen, denn der Zeiger der Benzinuhr steht schon seit fünf Minuten auf Null. In diesem Falle ist es immerhin tröstlich, zu wissen, daß der Tank fast leer ist. Und tröstlich ist auch der Gedanke, daß dort unten die braven Männer vom Roten Kreuz schon mit der Tragbahre in Bereitschaft stehen.
    Noch einmal zieht er die kleine Motte hoch, die sich bald die silberglänzenden Flügelchen brechen wird, das arme Ding. Noch einmal kurvt er ein — was sein muß, muß sein! Komisch, daß ihm in diesem Augenblick, in dem man doch ernste Gedanken haben sollte, ein Vers von Ringelnatz einfällt, der zudem mit der Fliegerei gar nichts zu tun hat:

Frisch ersoffen also und nicht gejammert,
aber natürlich auch nicht zu übereilt!
Wer sich nicht tapfer noch an die letzte
Handuhle klammert,
der ist im Leben noch nie um die Horn gesailt.
Ein Schuft, wer mehr stirbt,
als er sterben muß!

    Schluß! Denn da reißen mit dem Augenblick, in dem die Motte aufsetzt und wahrhaftig ein paar Meter rollt, als wäre mit ihrem Fahrgestell alles in bester Ordnung, plötzlich die Bilder und die Erinnerung ab. Er fühlt sich herumgewirbelt und spürt noch einen Schlag über den Schädel. Aus!

    Michael schlug die Augen auf. Er tat es zögernd und mit einer gewissen Spannung, war aber fest entschlossen, nicht überrascht zu sein, wenn ihn jetzt ein gütiger alter Herr in schneeweißem Bart mit einem herzlichen »Willkommen im Himmelreich!« begrüßen würde. Und dann gab es da noch eine andere Möglichkeit...
    Nichts davon, weder so noch so. Er lebte und befand sich in einem weißgetünchten Zimmer, in einem schneeweiß überzogenen Bett, und spürte mehr, als daß er sie sah, schneeweiße Bandagen um Kopf, Hals, Arme, Hände und alle übrigen Extremitäten. Zweifellos gehörte dieser Raum zu einem Krankenhaus.
    Sein Erwachen wurde von einem Geschöpf zur Kenntnis genommen, das Michael Prack auf den ersten Blick hin für einen Mann halten wollte, der sich den Spaß gemacht hatte, eine Schwesterntracht mit Hügelhaube anzulegen. Gegen diese Ansicht sprachen jedoch die runden Formen des betreffenden Wesens , dafür wiederum ein kräftiger Schnurrbartansatz und eine Stimme, deren sich kein
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