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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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stellte den Strauß neben sein Bett. Michael schloß für einen Moment die Augen. Ein wohltuendes Wärmegefühl durchströmte ihn. Er hatte einen Menschen, der sich um ihn sorgte.
    »Übrigens könntest du am Telefon ein wenig gesprächiger und ehrlicher sein, Michael! Midi machen halbe Wahrheiten immer unruhig und nervös.«
    »Ich habe dir nichts vorgeschwindelt und nichts unterschlagen!«
    »Dir fehlt also nichts?«
    »Wahrhaftig nichts bis auf ein paar abgebrochene Fingernägel...«
    »Und die Gehirnerschütterung und die Prellungen und die Blutergüsse sind nichts, wie?«
    »An so etwas müßtest du dich doch inzwischen eigentlich gewöhnt haben.«
    Sie setzte sich neben sein Bett und legte ihre Hand vorsichtig auf seine.
    »Die Geschichte steht übrigens schon in der >Abendzeitung<. Als ich das Bild von der zertrümmerten Motte sah, ist mir wahrhaftig schlecht geworden.«
    »Hast du die Zeitung mitgebracht?«
    »Natürlich.«
    »Zeig sie mal her!«
    Sie hatte ihren Mantel über eine Stuhllehne gehängt und ging, um das Blatt zu holen. Michael starrte sekundenlang auf das Foto. Seine Nasenspitze wurde blaß.
    »Tu es lieber weg«, murmelte er und schluckte ein wenig, »es ist wirklich ein übler Anblick.«
    »Jedenfalls achtest du mir in Zukunft darauf, daß die Räder des Fahrgestells fest montiert sind, hörst du?!«
    »Darauf kannst du dich verlassen!« Er versuchte, ihre Hand zu umschließen, aber die kleine Anstrengung verursachte solch einen stechenden Schmerz in der Schulter, daß er es lieber sein ließ.
    »Du, Barbara«, sagte er nach einer kleinen Weile, »hat Doktor Schwenninger mit dir eigentlich noch etwas besprochen, was über Gehirnerschütterungen und Prellungen hinausgeht?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst?« antwortete sie und sah ihn fragend an.
    »Hm — sag einmal, in welche Zeit fällt heuer dein Sommerurlaub?«
    »Na höre einmal, darüber haben wir doch lang und breit gesprochen, daß ich bei meiner Firma am Ultimo Juni aufhöre. Oder hast du vergessen, daß wir Anfang Juli heiraten wollten?« Sie sah ihn ein wenig besorgt an, als befürchte sie, er könnte durch den Sturz doch Schaden genommen haben. »Meinen Urlaub haben wir hinter uns, mein Liebling.«
    Sie waren im Februar acht Tage in Kitzbühel zum Schiläufen gewesen.
    Michael zog, soweit das möglich war, die Nase kraus. »Die Geschichte ist nämlich so: Dr. Schwenninger meinte, es könnte mir nichts schaden, wenn wir beide im Faltboot irgendwo in die Einsamkeit verdufteten.«
    Barbara sah ihn sehr mißtrauisch an.
    Aber Michael ließ sich durch den Blick, der diese Formulierung des ärztlichen Ratschlags stark in Zweifel zog, nicht beirren: »Schau einmal, Barbaramädchen, mein Traum wäre eine Insel. Verstehst du? Ein Inselchen, nicht viel größer als dieses Zimmer hier, in einem unserer Flüsse — Altmühl, Naab und Regen, fließen ihr entgegen, hast du doch auch einmal in der Schule gelernt, nicht wahr? Na siehst du! Und ringsum Wasser und Landschaft, und von oben, wenn wir Glück haben, Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Aber Sonne allein ist mir lieber. Du könntest dir ein paar Bücher mitnehmen. Und ich mein Angelzeug. Du würdest kochen und braten, Makkaroni kochen und Fische braten...«
    »Hast du überhaupt eine Angelkarte?« fragte sie. Es schien ihr einziger Einwand gegen seinen Vorschlag zu sein.
    »Natürlich nicht! Aber ich habe ja auch ausdrücklich von einer einsamen Gegend gesprochen.«
    »Noch schöner wäre es eigentlich im Hochsommer, wenn das Obst reif ist«, sagte sie versonnen.
    »Man kann schließlich nicht nur vom Stehlen leben. Und im Hochsommer, mein liebes Herz, da braten wir am Persischen Golf und werden statt Obst Sand zwischen den Zähnen haben. — Aber was sagst du zu meinem Vorschlag? Was hältst du von meinem Plan?«
    »Ach, Michael, er ist großartig! Und ich suche schon die ganze Zeit über nach einem passenden Vorwand, um meinem Chef die Geschichte mundgerecht zu machen.«
    Auf ihrer Stirn stand eine steile Falte, und sie sah wirklich angestrengt aus, noch angestrengter, als wenn Michael ihr ein technisches Problem zu erklären versuchte.
    »Wie viele Großmütter hast du eigentlich schon sterben lassen?« fragte er, um ihr eine Anregung zu geben.
    »Im vergangenen Jahr rechnete mir der Chef sechs Stück vor. Es war ziemlich schwierig, aus dem Handgelenk heraus solch komplizierte Familienverhältnisse zu erklären.«
    »Hm«, machte er und starrte gegen die Decke. »Versuch es doch
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