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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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sonst noch.

SLIEMA
    Kati kam eben von
Huytens zurück. Ich weiß, daß sie alles weiß, auch wenn sie sich jede Mühe
gibt, Harmlosigkeit zu heucheln. Sie wirkt so hilflos, wenn sie lügt. Sie nahm
mich in den Arm, streichelte meine Stirn. Ich spürte, wie ihre Finger
zitterten. Vor mir muß sie keine Angst haben. Wer wär ich denn, ihr wehzutun?
Der Einzige, der vor mir Angst haben muß, bin ich doch selbst. Wir haben stumm
zu Abend gegessen, ich wartete darauf, daß sie von sich aus erzählen, das Wort
ergreifen würde, aber sie sah stur an mir vorbei. Zuletzt stand sie auf und
ging in die Küche, machte den Abwasch, ohne mehr als drei Bissen gegessen zu
haben. Was los sei, fragte ich sie. Und Kati meinte, das sei nicht so klar,
leider. Sie wolle darüber nicht reden, nicht jetzt, ohne nachgedacht zu haben.
Sie wolle früh zu Bett, reden könne man morgen. In Ruhe.
    Ich habe dann eine Flasche
Wein getrunken auf der Terrasse. Wird Kati jemals Ruhe finden mit jemandem wie
mir? Wo sie nun alles weiß. Wieder fielen mir neue Details ein, aus jener
Nacht, damals, vor über zwanzig Jahren. Sgt. Peppers Band began to play.
    *
    Ich kann nicht
schlafen. Ich will gar nicht schlafen. Bin feige. Tränke das Laken mit meinem
Schweiß. Was tut Serge, wenn er denkt, daß ich schlafe? Ich müßte nur
nachsehen. Aufstehn, nachsehn. Eben klingelte das Telefon, das Festnetz, Greta
war dran, sie lebt und hat mir einen Roman erzählt, hat sich tausendmal
entschuldigt und mich nach ihrem Notebook gefragt. Das hast du doch
mitgenommen, sagte ich. Sie: Hä? Hab ich nicht. Ich blick da nicht mehr durch.
    *
    Meine Mutter öffnete
den Kleiderschrank, holte den Schulranzen hervor und stellte ihn auf den Kopf.
Sachen purzelten heraus. Sie wollte fies und gemein sein, sie war an diesem Tag
noch nicht auf ihre Kosten gekommen. Triumphierend hielt sie die Packung
Zigaretten in der Hand und schlug mir ins Gesicht. Es war nicht wegen der
Zigaretten, die boten ihr nur einen billigen Vorwand, sie haßte mich, weil ich
ihrem Glück im Weg stand. Ich schlug zurück, zum ersten Mal. Wir kämpften, und
als ich gewonnen hatte, fiel ihr Körper die Treppe runter. So war das, und jetzt
weiß ich es wieder. Es wühlt in mir. Danach hab ich geraucht, und das kleine
Feuer war mein Fackelzug. Ich muß etwas tun, einmal aus Liebe etwas tun, aus
keinem anderen Grund.
    Lieber David,
    heute habe ich über Serge schlimme
Dinge erfahren, sehr schlimme Dinge, ich habe Angst, daß er mir etwas antut, er
ist verkorkst und böse, hinterhältig, hilf mir bitte, meine Adresse lautet: Sliema, Triq Blanche 57. Komm so schnell du kannst, bitte.
    In Liebe, Kati
    Eben, da ich diese Zeilen
schreibe, steht Kati in der Tür und sieht mich an. Ich habe Gretas Schlafzimmer
nicht abgesperrt, und jetzt steht Kati da und sieht mich an. Endlich. Gleich
wird sie das Notebook nehmen und auf den Kopf stellen, wird triumphierend alle
Mails lesen, die ich in ihrem Namen geschrieben habe, und von mir Abschied
nehmen. Das wird das Ende von allem sein. Das Ende aller Lügen.
    Liebe Kati,
    was ist denn bloß vorgefallen? Ich
habe eben nachgesehen, um sieben Uhr morgens geht eine Maschine, ich hab schon
gebucht, bin gegen elf bei dir. Du geh bitte nicht das allergeringste Risiko
ein, nimm dir ein Zimmer im Hotel. Ich hab dich eben auf dem Handy anzurufen
versucht – kannst du nicht rangehen, oder hast du es nicht an? Ich komme dann
zu der angegebenen Adresse – falls wir uns woanders treffen, schick ein sms .
    Love, David

JOHNSON
    Jule wäre ihrer
Freundin am liebsten sofort hinterhergeflogen, aber ihr Economy-Tarif sah keine
Möglichkeit einer Umbuchung vor. Sie hätte zu ungünstigsten Konditionen einen
neuen Flug buchen müssen – und rang mit sich. Einige Tage Abstand, fand sie
dann, konnten die Situation nicht verschlimmern. Zwar plagte sie die Sehnsucht
nach Johnson, aber längst nicht mehr so wie zu Beginn der Reise. Der Verlust
von Lisbeth drängte alles in den Hintergrund, sogar den Kater, dem es laut
Davids Auskunft ja gut ging, beinahe beleidigend gut. So schleppte sich Jule
von Station zu Station eines Urlaubs, der keiner mehr war. Einmal telefonierte
sie mit ihrem Sohn, der sie beschwor, noch zu bleiben, Berlin erlebe den
härtesten Winter seit dreißig Jahren, das müsse sich niemand freiwillig antun.
Seltsamerweise hatte David mit keinem Wort danach gefragt, warum Lisbeth ihre
Zelte überstürzt abgebrochen hatte. Sie legte ihm sein Desinteresse als
Zartfühligkeit aus.
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