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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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waren, und Cyberjack leerte seine
zweite Flasche auf ex. Und rülpste laut.
    Willste mal mein’ Schwanz
sehen?
    Bestimmt nich.
    Woher willstn das wissen,
wennde ihn noch nie gesehen hast?
    Er drehte sich um, ging zwei
Schritte und öffnete seinen Reißverschluß, pisste gegen den Zug, der auf dem
Abstellgleis stand. Becky sah in eine andere Richtung, obwohl das Geräusch des
Urinstrahls ihr auf gewisse Weise imponierte. Sie wünschte sich manchmal, beim
Pinkeln nicht in die Hocke gehen zu müssen. Im Stehen einen solchen Schwall
abzulassen, dabei zu singen, das mußte grooven. Und es war doch ein wenig kalt
jetzt, Dampf kroch am Waggon empor. Ryan trat nah an sie heran und
entschuldigte sich für das Verhalten seines Freundes, das er prollig nannte.
Becky überlegte sich, ob Ryan vielleicht ein ganz netter Kerl war, der unter
Wert gehandelt wurde. Man müßte ihn dazu bringen, sich die Farbe aus dem
Gesicht zu kratzen. Dachte sie. Darunter ist er bestimmt ein ganz anderer
Mensch. Cyberjack war fertig und drehte sich um. Becky?
    Ja?
    Sie sah, daß sein Hosenstall
offen stand und etwas vor ihm her baumelte, das in enormer Geschwindigkeit
anschwoll. Neulich, als Ryan sein Macbook dabeihatte, hatte Becky mit den Jungs
auf youporn.com ein paar Clips angesehen, hatte einen ersten Einblick gewonnen,
was Männer mit Frauen so anstellen. Cyberjacks Erektion war die erste, die ihr
live vor Augen kam. Ryan schien die Sache peinlich zu werden, er nahm Becky in
den Arm und küßte sie auf den Mund. Sie drückte ihn weg.
    Hör mal, Kleines, hechelte
Cyberjack, hörbar erregt von seinem krassen Humor, du willst doch keine doofe
Nuß sein, oder? Ne?
    Schieb das Teil mal wieder
ein, der ist häßlich! Hörte Becky sich sagen und wunderte sich, daß Ryan sie
immer noch festhielt, an ihrem Hals leckte.
    Der ist nicht häßlich, Baby,
was sagstn du für Zeug? Häßlich? Paß uff, ich geb dir fünfzig Steine, wenn du
ihn mal küßt. Da holst du dir keine Krankheit von.
    Ryan leckte ihr den Hals, aber
das nahm sie wie eine Nebenwirkung wahr, sie starrte, obwohl sie es nicht
wollte, auf Cyberjacks erigierten Penis, der vor ihrem Gesicht wippte und immer
größer zu werden schien. Immer wippiger, falls es das Wort gab. Plötzlich
stolperte sie und landete im Schnee, Ryan hatte ihr ein Bein gestellt, der
alberne Idiot. Wie blöd er jetzt lachte.

JULE UND LISBETH
    Wegen der Thrombosen, die man sich auf langen Flugreisen in der Holzklasse zuziehen kann,
hatte Jule sowohl für Lisbeth wie für sich selbst Kompressionsstrümpfe besorgt.
Lisbeth ging nach fünf Stunden auf die Toilette, um die Dinger loszuwerden.
Ansonsten gab es keine besonderen Vorkommnisse an Bord. Die Frauen, beide
Lehrerinnen an derselben Oberschule, beide seit letztem Juni pensioniert,
machten zum ersten Mal gemeinsam Urlaub, obwohl sie sich lange schon kannten
und schätzten. Zwei Wochen quer durch Florida – David hatte die Idee gehabt
(Hast du keine Freundin, die dich begleitet?) –, und Lisbeth war begeistert
gewesen, viel mehr als Jule selbst. Ohne Lisbeths sofortige und euphorische
Zusage hätte Jule die Reise nie angetreten, sie wäre, und sei es im letzten
Moment noch, zu Hause geblieben, aus zu viel Furcht vor den Unwägbarkeiten des
fremden Landes. Johnson überließ sie ihrem Sohn nur mit viel Bauchschmerzen zur
Pflege. Zwei lange Wochen. Jule konnte unermüdlich darüber palavern, wie
negativ sich eine solche Zeitspanne auf die Psyche eines Katers auswirken
müsse, dessen Welt sechzig Quadratmeter maß, der außer seinem Frauchen nie eine
andere Vertrauensperson besessen hatte. Und David war doch ein Fremder. Lisbeth
ging das auf die Nerven, erst hörte sie einfach nicht mehr hin, zuletzt verbot
sie der Freundin das Thema sogar. Allein schon das Wort Frauchen klang in Lisbeths Ohren unerträglich. Sie selbst hatte
sich, seit sie auf eigenen Beinen stand, nie von irgendwem abhängig gemacht,
worüber sie nun heilfroh war. Obwohl das ja nie aus bewußt getroffenen
Entscheidungen resultierte, eher aus einer zufälligen Abfolge früh schon
gescheiterter Beziehungen. Lisbeth sah selbst jetzt noch, mit sechsundsechzig
Jahren, blendend aus, war mit der Figur einer jungen Frau gesegnet, und die
wenigen Falten, die sie am Morgen, wenn sie vor dem Badezimmerspiegel stand,
anzuzischen pflegte, verliehen ihrem Gesicht etwas Putziges, dem auch noch so
viel Zeit nichts anhaben konnte.
    Jule hingegen, Witwe und
zweifache Mutter, hatte zeitlebens wenig Wert auf ihre
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