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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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Einsam, immer in dieselben Gedankenschleifen versponnen,
saß sie im gleißenden Licht, an Stränden, die ihr nichts bedeuteten, in Städten
ohne Reiz. Sie saß die Zeit wie ein Häftling ab, erwartete voller Freude den
Tag, an dem ihre Maschine endlich Richtung Europa abhob, sie war zwei Stunden
zu früh an den Flughafen von Miami gekommen, um nur ja keinen Fehler zu
begehen. Ständig hoffte sie auf eine Nachricht von Lisbeth, auf irgendein
Zeichen zur Versöhnung.
    Am 17. Februar, gegen zwei Uhr
nachmittags, landete sie auf dem Flughafen Tegel, fuhr nach Hause, nahm eine
Dusche, danach, der Anlaß war es wert, ein Taxi zu Davids Wohnung. Das sparte
gegenüber der U-Bahn fast zwanzig Minuten Fahrzeit. Sie klingelte, und statt
David öffnete ein junger Mensch mit mehrfach geflickten Jeans und Dreadlocks,
der ihr die Hand hinstreckte und sich mit den Worten »Hallo, ich bin Adolf«
vorstellte. Es hätte nicht viel gefehlt, und Jule hätte die hingestreckte Hand
verweigert, das Weite gesucht und die Polizei alarmiert. Adolf erklärte ihr
dann, daß David leider verhindert sei, und er ihn, seinen Assistenten, darum
gebeten habe, sie zu empfangen. Das ist ja wie eine Audienz beim Papst! entfuhr
es Jule. So schlimm sei es sicher nicht, entgegnete Adolf, er jedenfalls habe
von David den Auftrag erhalten, ihr Kekse und Tee anzubieten. Jule legte darauf
keinen Wert. David habe kurzfristig ins Ausland verreisen müssen, erklärte der
junge Mann mit der zerschlissenen Lederjacke. Wo Johnson sei, fragte sie und
erhielt zur Antwort, der Kater sei leider, leider verstorben. Adolf benutzte
das Wort verstorben, weil es respektvoller klang als das einsilbige und
schlichte »tot«. Er drückte ihr sein Mitgefühl, sein Beileid aus. Wie das
geschehen sei, fragte Jule flüsternd, und Tränen liefen ihre Wangen herab.
Adolf antwortete, daß David ihm nur das Nötigste habe mitteilen können, er habe
mitten in der Nacht angerufen, hörbar aufgewühlt. Was hat er denn genau gesagt,
fragte Jule. Bitte sagen Sie mir ganz exakt, was er gesagt hat. Er sagte: Du
mußt meiner Mutter schonend beibringen, daß ihr Kater tot ist und daß ich keine
Schuld daran habe. Johnson wollte einfach nicht fressen, er hat – und Adolf
konnte die Worte Davids nicht ohne eine entschuldigende Geste wiedergeben – auf
klassisch römische Art Suizid begangen.
    Jule sah auf. Was sei das denn
für ein Scheißdreck? Ein kastrierter Kater begeht auf klassisch römische Art
Selbstmord? Und David will mir nicht ins Gesicht sehen müssen, haut einfach ab,
schiebt seinen Assi vor? Sie war so wütend, daß sie zitterte. Sie wußte nicht,
worin ein klassisch römischer Selbstmord bestand, und Adolf hätte ihr auch
keine exakte Auskunft geben können. Er fand, daß sein Auftrag so weit erledigt
war. Zwar hatte David ihm noch anvertraut, wo Johnsons leblose Reste lagerten,
für den Fall, daß seine Mutter auf die Herausgabe des Kadavers pochte. Aber
ohne Not darüber Auskunft zu geben, schien wenig angebracht.
    Jule nahm ihr Handy, als wäre
sie allein im Raum, und schrieb Lisbeth eine SMS .
    johnson ist tot .
    Drei Worte. In Großbuchstaben.
Und plötzlich, während Adolf ihr eine Hand auf die Schulter legte und eine
banale Abschiedsfloskel formulierte, erkannte Jule einen tieferen Sinn in
Johnsons Tod. Lisbeth würde antworten. Auf diese drei Worte hin würde sie eine
Antwort senden. Senden müssen. Nach nur drei Minuten kam die Antwort. DU ÄRMSTE . Nicht mehr, nicht weniger. DARF ICH BITTE – Jule zitterte so sehr, daß sie sich etliche Male
vertippte – ZU DIR KOMMEN ?
     
    GUT . KOMM !

RÜCKSICHT AUF EINE ZUKUNFT
    21. Februar
    Ich sitze am Meer
und staune tatsächlich, wie beständig, wie ungemein beharrlich die Gischt gegen
die Felsen klatscht. Als wär ich ein romantischer Idiot. Man sitzt dem Meer
allerdings so anders gegenüber, wenn man allein ist. Kati ist fort, mit David.
Er sei gesund, hat er gesagt, das hat ihr genügt. Sie kann mir gestohlen
bleiben, sollen sie zusammen verrotten. Nein, ich vermisse Kati, sogar sehr,
aber es kommt mir unsinnig vor und zu spät. Sie ist an jenem Dezemberabend
schon so gut wie tot gewesen, als ich einen Blutfleck von ihr suchte, im
Schnee, als ich eine halbe Stunde lang wußte, daß sie mir abhandengekommen,
gestohlen worden war, weil überfrierende Nässe und ein unaufmerksamer Autofahrer
ihren Geist von dieser Welt in keine andere schickten. Als ich sie liebte, über
alles liebte. In jenen letzten schönen Tagen. Als es
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