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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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weiß, was Sie gleich sagen
werden, daß ich, wenn ich mit Kati zusammenbleibe, dieses alte Trauma nur
aufrechterhalte. Weil sie meiner Mutter so ähnlich sieht. Ich will Ihnen nicht
ins Handwerk pfuschen, aber ein bißchen was ist mir schon selber klar geworden.
    Wie meine Mutter ums Leben
gekommen ist? Sie hatte einen Unfall. Das tut doch nichts zur Sache, ich rede
nicht gern darüber. Natürlich hab ich sie geliebt. Obwohl ich meinen Vater noch
mehr liebte als sie. Meine Eltern trennten sich, als ich zwölf war, und das
Sorgerecht wurde ihr zugesprochen. Das war eine Katastrophe für mich. Richtig
schlimm wurde es, als ein halbes Jahr nach der Trennung ihr neuer Liebhaber bei
uns übernachtet hat, erst einmal, dann regelmäßig. Er konnte mich nicht leiden.
Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er sich auf meine Mutter vielleicht
eingelassen, so aber verhielt er sich immer etwas reserviert. Ich bekam das
Gefühl, ein Klotz am Bein meiner Mutter zu sein. Wenn sies miteinander trieben,
wimmerte sie vor Lust, ich konnte es durch die Wände hören, bei meinem Vater
hat sie, soweit ich weiß, nie einen Laut von sich gegeben, nein, ich kann mich
jedenfalls nicht dran erinnern. Dann geschah das Unglück. Meine Mutter starb –
und ich kam ins Heim. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, so allein zu
sein. Das wünsche ich niemandem. Woran sie starb? Sie brach sich das Genick,
sie war wahrscheinlich betrunken und wollte für ihren Lover Wein holen,
rutschte auf der Kellertreppe aus, fiel unglücklich. Ich hab sie am Morgen am
Fuß der Treppe gefunden. Ihr Lover hatte derweil das Weite gesucht, als sei er
für so was nicht zuständig. Das machte ihn verdächtig, zumal ihr Körper
Hämatome zeigte, die nicht von dem Sturz herrühren konnten. Es war sogar von
einem Prozeß die Rede, in dem man ihm unterlassene Hilfeleistung nachweisen
wollte, aber in so einem Fall ist einfach nichts konkret nachzuweisen. Mein
Vater hätte sicher für mich gesorgt, wäre er selbst nicht todkrank gewesen. Das
habe ich erst nach dem Tod meiner Mutter erfahren. Prostatakrebs. Eine
Todesart, die auf mich geradezu peinlich wirkte. Meine Eltern hatten sich unter
anderem deshalb getrennt. Mein Vater wollte mir sein Siechtum, denn er war ein
Macho, ein ehemaliger Sportler, ersparen. Er hielt das für vorauseilende
Rücksichtnahme und Mitgefühl. Kann man drüber streiten. Meine Mutter hat sich
sein Siechtum auch ersparen wollen. Das ist definitiv vorauseilend, aber kein
Mitgefühl. Er ließ mir ausrichten, daß er sich nicht um mich kümmern könne, und
bat um Vergebung, um Verständnis. Zwei Monate darauf starb er. Damals hab ich
mich sehr verlassen gefühlt, in der Tat. Mit meinem Vater hab ich inzwischen
Frieden geschlossen, mit meiner Mutter nicht. Sie erscheint mir manchmal im
Traum, eine Schönheit, sie war keine 35, als sie starb. Und Kati ist ihr
Spiegelbild, man möchte nicht glauben, daß so etwas vorkommt. Daß das nicht
gesund sein kann, weiß ich auch. Alkohol kann auch nicht gesund sein, und
dennoch säuft die halbe Welt und findet es gut. Ich möchte mit Kati alt werden,
ja. Vielleicht ist ein Kind die Lösung. Ich wäre sicher kein guter Vater. Aber
sie als Mutter würde einiges wettmachen. Und überdies halte ich es für möglich,
daß ich mich ändern kann. Könnte ich das Gefühl haben, mich auf Kati komplett
verlassen zu können, wäre alles ganz einfach. Sie muß erst mal aus dem Alter
raus, in dem sie Orgasmen noch für wichtig hält. Ja, klar, meine Eifersucht
resultiert vornehmlich daraus. Aus dem Gefühl, ihr nicht alles geben zu können,
was so ein Arschloch wie, ich will seinen Namen nicht erwähnen, ihr offenbar zu
geben fähig war. Ständig Zweifel haben zu müssen, ob ich der Richtige für sie
bin – ich bin ja weißgott kein einfacher Mensch –, und manchmal mache ich
Dinge, die auf Außenstehende erbärmlich wirken müssen. Details? Ist das so
wichtig? Wenn Sie meinen, also, na schön, ich schnüffele in ihren
Angelegenheiten herum, ich fühle mich selbst ganz gräßlich dabei, vielleicht
habe ich deswegen begonnen, zu trinken, der Wein beißt mir die Hemmungen weg,
hilft mir, die Lage mit einer anderen, krummeren Logik zu betrachten. Ich rede
mir immer ein, es nur gut zu meinen. Katis momentane Lage – sie hat ihren Job
verloren, ist auf mich angewiesen, in gewissem Maße, empfinde ich als angenehm,
um mal meine Erbärmlichkeit anzudeuten. Ich leide unter der Einsicht, kein
besonders bewundernswerter Mensch zu
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