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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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sein. Andererseits, und ich weiß wie
wichtig mir das ist, genieße ich auch, in gewissen Momenten, den Fakt, eben
nicht wie tausend andere zu ticken. Manchmal möchte ich Kati alles gestehen, in
der Hoffnung, daß sie mich dann, mit all meinen Fehlern, als bemerkenswert
einschätzt. Aber leider, und das ist das Schlimmste, halte ich Kati für
unfähig, intellektuell souverän auf meine Abartigkeit zu reagieren. Sie ist
nicht dumm, nein, ich wäre nie mit einem dummen Menschen zusammen. Doch ihre
Reinheit stößt mich ab. Sie paßt zu meiner Verkommenheit so schlecht. Ich
ärgere mich manchmal, daß sie mir nicht auf die Schliche kommt, obwohl sie nur
eins und eins zusammenzählen müßte. Diese Gutgläubigkeit, das Vertrauen, das
sie in mich setzt, ist unerträglich, eine schwere Bürde, die ich mit mir
rumtrage. Dann wünschte ich, sie würde mir einfach mal eins in die Fresse
hauen, für all die Gemeinheiten, die ich ihr antue. Doch sie – sie quält mich,
unbewußt, indem sie einfach stillhält, mich gefangen hält, mich einen Menschen
sein läßt, der ich nicht bin. Ich fühle mich eingekerkert in ihrer Projektion
von mir. Es gibt wunderbare Beziehungen, wo man sich dauernd streitet und
wieder versöhnt. Kati ist auf Harmonie geeicht. Es kommt in letzter Zeit vor,
daß ich nahe daran bin, sie zu schlagen, nur um diese Projektion zu
zertrümmern. Doch ich weiß vom Hörensagen, daß das krank ist, also unterlasse
ich es. Ich betone: Ich unterlasse es nicht etwa, weil ich es nicht will. Ich
möchte gesund werden. Kati legt Wert darauf. Deshalb bin ich ja hier. Ob ich
ihr ernstlich etwas zuleide tun könnte? Was ist das für eine Frage? Wenn man
jemanden liebt, dann ist doch alles möglich, oder nicht?
    Ja, natürlich war das ein Witz.
Bei meinen Witzen wird eben selten gelacht, meist schmunzelt nur einer, das bin
ich selbst.
    *
    Ich legte das Blatt
aus der Hand und sagte Huytens, daß ich nicht weiterlesen möchte. Was da stehe,
gehe mich nichts an. Was er sich dabei denken würde, mir so etwas Intimes
auszuhändigen? Ob er mir Angst machen wolle? Ich stand auf und ging zur Tür, da
packt mich Huytens am Arm und drängt mich in den Stuhl zurück, auf fast brutale
Art. Es tue ihm sehr leid, aber ich müsse weiterlesen, es sei in meinem
höchsteigenen Interesse. Muß ich nicht. Hab ich gesagt. Obwohl er mich schon
neugierig gemacht hat mit seinem Getue. Er habe doch eine Schweigepflicht als
Arzt, fragte ich ihn, und er meinte, das stimme, aber – und er wurde geradezu
laut – jene Schweigepflicht trete außer Kraft, wenn es darum gehe, Schaden von
Dritten abzuwenden. Er drückte mir ein anderes Blatt in die Hand und beschwor
mich, wenigstens einen Blick darauf zu werfen.
    Sitzungsprotokoll vom 14.2.
    Um Ihnen die
Wahrheit zu sagen, was ich schon viel früher hätte tun sollen: Ich selbst habe
meine Mutter von der Kellertreppe gestoßen. Ich habe sie getötet, es geschah im
Zorn und war doch kein Versehen. Wir hatten uns wegen irgendwas gestritten. Als
mein Vater noch im Haus war, setzte es nie Schläge für mich, er hat das streng
verboten. Danach rutschte meiner Mutter öfter mal die Hand aus, meist entschuldigte
sie sich dann damit, daß aus mir ein schwieriges Kind geworden sei und sie sich
nicht mehr anders zu helfen wisse. Als der andere Mann in ihr Leben trat und
sie sich öfters mit ihm schon am Nachmittag betrank, fand sie offenbar, daß
Entschuldigungen nicht mehr nötig waren. Unter jedem noch so lausigen Vorwand
schickte sie mich auf mein Zimmer, vielleicht schämte sie sich vor mir. Heute
ziehe ich dieses Motiv in Betracht, damals – nein, damals hab ich mich als
störend empfunden und ungeliebt. Vielleicht bin ich tatsächlich auch ein
kleiner Rebell gewesen, eine Nervensäge. Ich gehöre nicht zu jenen Menschen,
die grundsätzlich Partei für die Kinder ergreifen. Wissen Sie, meine Mutter,
zuvor eine verklemmte, spießbürgerliche Existenz, war vielleicht ganz glücklich
mit dem Neuen und hatte die beste Zeit ihres Lebens – und da steht ihr so ein
blödes, egozentrisches Balg wie ich im Weg, der kleine Spielverderber, der
alles versauen will, der ihr nichts gönnen kann. Ein pubertierendes Monster,
das an der Tür lauscht, wenn die Erwachsenen aufeinanderliegen, und durchs
Schlüsselloch guckt. Ob ich was gesehen habe? Nein, der Schlüssel steckte von
innen, zum Glück. Da fällt mir ein, ich habe einmal Geld gestohlen, aus der
Hose des Mannes. Er lag bei meiner Mutter und seine Hose in der
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