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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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PROLOG

    In den Dörfern, so hatte man den Eindruck, wussten die Leute alles. Sie wussten, wessen Urgroßmutter eine Prostituierte gewesen war; sie wussten, welche Familien früher Sklaven gewesen waren und wem sie gehört hatten; sie wussten, welches die Osu waren, die Parias, deren Vorfahren vor Generationen auf den heidnischen Altären zu Opfern geweiht worden waren. Deswegen war es auch nicht weiter überraschend, dass sie genau wussten, was sich an jenem Tag im Krankenhaus zugetragen hatte.
    Augustina hingegen war nicht mehr erzählt worden als dies: Kaum hatte sie das Licht der Welt erblickt und von der Hebamme einen Klaps auf den Po bekommen, damit sie schrie und Luft in die Lungen saugte, da hatte ihre Mutter einen tiefen Atemzug getan und war gestorben. Die Tote war die neueste von fünf Ehefrauen, sie war die jüngste und die am meisten geliebte. Doch weil sie einen schlechten Tod gestorben war, einen Tod, der als genauso schändlich galt wie ein Selbstmord, wurde sie sofort beerdigt, in aller Stille, ohne offizielle Trauer.
    Als der Vater Augustina mit nach Hause brachte, klagten alle, das Kind weine zu viel, so als wüsste es, dass es am Tod seiner Mutter schuld sei. Deshalb kam Augustinas Großmutter und holte sie ab. Mit sieben, als festgestellt wurde, dass sie mit der rechten Hand über den Kopf greifen und ihr linkes Ohr anfassen konnte, kehrte Augustina in ihr Vaterhaus zurück und wurde eingeschult. Dass sie lang und dünn war, hatte demnach sein Gutes gehabt.
    Sechs Jahre darauf verkündeten dieselben Dorfexperten, es sei keine gute Idee von ihrem Vater, einen weiblichen Sprössling auf die höhere Schule zu schicken. Das sei Zeitverschwendung; für Frauen sei zu viel »Buchwissen« überflüssig. Empört rauschte Reverend Sister Xavier bei Augustinas Vater an, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen.
    »Guten Tag, Mister Mbamalu«, begann sie.
    »Willkommen«, sagte er und bot ihr einen Stuhl an.
    Die weiße Ordensschwester setzte sich und schaute ihm direkt in die Augen.
    »Ich höre, Sie wollen Ozoemena nicht erlauben, auf die höhere Schule zu gehen.«
    Ugorji, Augustinas großer Bruder, der an dem Tag als Dolmetscher eingesetzt war, wiederholte ihre Worte auf Igbo. Es war durchaus nicht so, dass ihr Vater kein Englisch verstand, doch als er die Nachricht bekommen hatte, dass die Direktorin im Anmarsch sei, war er in Panik geraten, weil er befürchtete, mit seinen geringen Kenntnissen der fremden Sprache gegen den nasalen Akzent und das schnelle Sprechtempo der weißen Frau keinerlei Chance zu haben.
    »Ich möchte, dass sie Kochen lernt und eine gute Hausfrau wird«, erwiderte Augustinas Vater. »Sie hat die Grundschule besucht. Sie kann lesen und schreiben. Das genügt.«
    Die weiße Frau schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Es tut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen, aber ich bin nicht der Ansicht, dass das genügt. Ozoemena ist ein so intelligentes Kind. Sie kann es noch weit bringen.«
    Ugorji übersetzte. Die weiße Frau plapperte weiter.
    »Ich lebe seit den dreißiger Jahren in Afrika. In den mehr als zwanzig Jahren meiner Arbeit als Missionarin sind mir nur wenig junge Frauen begegnet, die es an Intelligenz mit Ihrer Tochter aufnehmen konnten.«
    Sister Xavier saß hoch aufgerichtet da, die Hände unablässig wie zum Gebet gefaltet.
    »Überall auf der Welt«, fuhr sie fort, »vollbringen Frauen heute großartige Leistungen. Manche sind Ärztinnen, die Krankheiten aller Art behandeln, andere haben hohe Regierungsämter inne. Es mag Sie überraschen, das zu hören, aber in manchen Ländern ist die oberste Herrscherin eine Frau.«
    Hinter der Tür, wo sie stand und lauschte, bekam Augustina mit, dass ihr Bruder das Wort »Herrscherin« nicht richtig wiedergab. Es waren Kleinigkeiten wie diese, die sie als aufgeweckt auszeichneten.
    »Mister Mbamalu, ich möchte, dass Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken«, sagte Sister Xavier, als sie mit ihren Ausführungen zum Schluss gelangte.
    Bis heute weiß niemand mit Sicherheit, ob es die Argumente der Ordensschwester waren oder ihre rasante Sprechweise oder schlicht der Schock, dass ihm eine Frau sagte, was er zu tun habe. Auf alle Fälle gab Augustinas Vater nach. Seine Tochter durfte wie ihre Brüder auf die höhere Schule gehen. Sich weitere fünf Jahre der Weisheit des weißen Mannes aussetzen.
    Augustina war begeistert.
    Am Ende freilich zählte es nicht, dass sie bei den Abschlussprüfungen die besten Ergebnisse ihres
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