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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
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Küche, mit dem
Portemonnaie darin. Nicht, daß ich das Geld gebraucht hätte, nein, ich wollte
nur diesen Typ bestehlen, ihm irgendwas antun. Im Rahmen meiner Möglichkeiten.
Obwohl mir nichts nachzuweisen war, hat meine Mutter mich geschlagen und einen
Dieb genannt. Nein, deswegen hab ich sie nicht umgebracht. Ich habe mir viel
gefallen lassen. Und immer wenn ich Stubenarrest bekam, mußte ich mir die Zeit
vertreiben, so verfiel ich dem Lesen, aus heutiger Sicht ist es doch
erstaunlich, daß eine der wichtigsten Bereicherungen meines Lebens aus so viel
Scheiße erwuchs. Ich weiß nicht mehr, warum geschah, was dann geschah. Weiß nur
noch, daß ich mich wehrte, schlug und schob und schubste – und sie stürzte
hinunter, und ich dachte: hoppla. Ich wünschte sie tot, und sie wars.
Erstaunlich. Ich zündete mir eine Zigarette an, löschte das Licht, rauchte zu
Ende und wollte erwachen. Aber das Dunkel, ohne die Glut, löste Panik in mir
aus, und ich schaltete die Beleuchtung wieder an.
    Da lag sie. Sie lag da. Wie
eine faktisch gewordene Lächerlichkeit. Ohne tieferen Grund.
    Ich habe meine tote Mutter
betrachtet, gerüttelt, und sie gab keine Antwort. Danach bin ich in mein Bett
und habe auf den Schrei gewartet. Irgendwann hat ihr Lover nach ihr gesehen,
und endlich kam sein Schrei. Ich hörte, wie er das Haus verließ, überstürzt,
ich saß nicht mehr im Bett, sondern im Kleiderschrank, mein Zimmer hatte ich
abgesperrt. Er muß dann umgedacht haben, schickte den Notarzt, der betrat das
Haus durch die offenstehende Tür und fand meine Mutter. Später kam die Polizei,
und ich verließ mein Zimmer, tat schlaftrunken, was denn los sei? Zu jenem
Zeitpunkt bereits war ich überzeugt davon, mit allem – was auch immer da
geschehen war – nichts zu tun zu haben.
    *
    Ich konnte einfach
nicht weiterlesen, ließ das Blatt fallen und lief an Huytens vorbei aus der
Praxis. Er machte diesmal keinen Versuch, mich aufzuhalten, hatte ja erreicht,
was er erreichen wollte. Dieses Schwein. Völlig verstört, ich muß gewirkt haben
wie schwer betrunken, wankte an der Uferpromenade entlang, konnte keinen klaren
Gedanken fassen.
    Wie werde ich Serge
entgegentreten? Was darf ich ihm sagen? Was genau weiß er über mich? Und woher?
In welche Situation hat mich dieser wahnsinnige Arzt gebracht? Sein lüsterner
Blick war so widerlich. Er kann sich ja alles auch ausgedacht haben. Oder
Serge, der allzu gerne übertreibt, der sich viele Dinge einredet. Ich bin
dermaßen durch den Wind.

TIFLIS
    Wenn es in Tiflis
etwas gab, was Greta und Ralf an Malta erinnerte, waren es die altersschwachen
gelben Omnibusse. Aber das konnte ihr Heimweh nicht wirklich lindern. Sie
hatten mit durchwachsenem Erfolg an einigen kleineren Pokerrunden teilgenommen
und gerade genug verdient, um das winzige Pensionszimmer zu bezahlen. Der
einzige Lichtblick war die georgische Begeisterung für das Backgammonspiel, und
nachmittags im Kaffeehaus fand Ralf immer wieder Freier, die bereit waren,
gegen ihn um dreißig Lari (etwas mehr als zehn Euro) den Punkt zu spielen, ein
immens hoher Betrag für hiesige Verhältnisse. Und endlich war Ralf sogar an
einen Goldfisch geraten. Das ist unter Berufsspielern (sogenannten Haien) die
Bezeichnung für einen Freier (einen deutlich schwächeren Spieler) mit viel Geld
in der Tasche. Ralf, der es gewohnt war, eine Error Rate von
unter 3 zu spielen, hatte drei Stunden geackert, um mit 15 Punkten à 20 Euro
vorn zu liegen. Sein Gegner, Surab, ein distinguierter älterer Sakkoträger um
die fünfundsechzig, mit weißem Backenbart und eher mongolischer als kaukasischer
Physiognomie, trug drei dicke Ringe an den Fingern der rechten Hand, und seine
Angewohnheit, mit diesen Ringen, wenn er nervös war, gegen die marmorne
Tischplatte zu trommeln, klack-klack-klack – wodurch die Hand des Georgiers
ungewollt eine gierige Gib-mir-gib-mir-Geste vollführte –, zerrte an Ralfs
Nerven. Einige lokale Spieler saßen um das Board herum, rauchten schwarzen
Tabak und flüsterten sich etwas zu, mal debattierten sie auch laut. Kiebitze
sollten sich, das war in Georgien nicht anders als sonst wo in der Welt, jedes
Kommentars enthalten, und öfters einmal sah Ralf irritiert und mißbilligend in
die Runde, dann aber sahen die Kiebitze irritiert und mißbilligend zurück,
keckerten frech und grinsten sich eins.
    Ralf fühlte sich nicht wohl,
zeigte aber enorm viel Selbstkontrolle. Greta saß in zweiter Reihe hinter ihm
und lenkte die Aufmerksamkeit der
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