Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage
Autoren: Helmut Krausser
Vom Netzwerk:
mit Kulleraugen darum gebeten hatte.
    Nun sah sie den Punkt
erreicht, da einfach nichts mehr schönzureden war.
    Wir haben, sagte Greta, keine
Kohle, keine Jobs, und ich hasse dieses Land.
    Sie gehe jetzt nach Malta
zurück, egal, was dort mit ihr geschehe. Im Grunde seien die ja viel eher an ihm interessiert, denn an allem sei nur er , Ralf, schuld.
    Ralf nickte und seufzte, wie
so oft in den letzten Wochen. Aber wer habe denn die dämliche Idee gehabt,
denen den Deal mit den Kreditkarteninfos anzubieten? Obwohl wir überhaupt
keinen Zugang dazu haben! Dadurch sind die erst auf den Geschmack gekommen.
Wegen zehn Mille hätten sie uns nicht gleich die Beine gebrochen.
    Wenn es dabei geblieben wäre!
Ich hab das getan, um erst mal Zeit zu gewinnen. Aber du mußtest ja unbedingt
noch zehn reinstecken mit deinem albernen Neujahrs-Aberglauben. Ich muß einfach
zurück nach Malta und die Wohnung auflösen. Die kostet uns sechshundert kalt im
Monat. Wenn ich alles Mobiliar verkloppe, bringt das auch ein bißchen was. Mein
Notebook liegt noch da. Im Übrigen hätten wir unsere Handys nicht wegwerfen
müssen. Sie einfach mal ne Weile nicht einzuschalten oder die Akkus
rauszunehmen, hätte genügt.
    Ralf schüttelte den Kopf. Die
– er sprach immer nur von »die« und »denen«, ohne einen Namen zu nennen –
würden im besten Fall, wenn sie guter Laune sein sollten, hundert Prozent
Zinsen verlangen, also in summa vierzig Mille. Die kriegen wir höchstens rein,
wenn wir ein großes Turnier gewinnen. Und das Startgeld dafür haben wir nicht.
Gibt uns auch keiner. Also vergiß Malta. Endgültig. Die Flugkosten wären teurer
als die paar alten Möbel und das Notebook. Wenn die Miete nicht mehr überwiesen
wird, kündigt man uns die Wohnung, wir sind dann Mietnomaden, aber das ist
gottseidank nichts, wofür man ins Gefängnis kommt.
    Was er denn vorschlagen würde,
fragte Greta müde und rieb sich die Augen.
    Wir gehen nach Deutschland,
suchen uns Jobs. Vielleicht kommen wir bei meinen Eltern unter. Fangen neu an,
auf kleiner Flamme. Ich seh dazu keine echte Alternative.
    Erst mal nach Deutschland
kommen! Wir haben nicht mal das Geld, um die Pension zu bezahlen!
    Pfeif drauf. Wir wenden uns
morgen in aller Frühe an die deutsche Botschaft. Wir sagen, man hat uns
beraubt, das stimmt ja sogar irgendwie – die zahlen einem dann auf Pump die
Bahn zweiter Klasse, bequem ist das nicht, aber eine Aussicht.
    Was denn für eine Aussicht?
Greta traten Tränen in die Augen, sie sah sich bereits an einer
Supermarktkasse. Wir hatten es, rief sie laut, so gut auf Malta. Mann, hatten
wir eine schöne Zeit. Bis du Idiot beschließen mußtest, Black Jack zu spielen.
Halt endlich die Klappe, dachte Ralf, enthielt sich aber jedes Kommentars. Dann
herrschte Stille, für anderthalb Minuten, und diese Stille war um nichts besser
als Gretas Lamento.
    Vielleicht sind Serge und Kati
ja noch da, und ich könnte sie bitten, mein Notebook und ein paar Kleider und
Geschirr und so nach Deutschland mitzunehmen.
    Die sind bestimmt längst nach
Hause geflogen. Aber bitte – versuchs! Ralf war strikt dagegen gewesen,
irgendwem mitzuteilen, wo sie sich genau aufhielten. Doch wenn sie morgen früh
ohnehin die Zeche prellen und aus diesem Land verschwinden würden, war es egal.

TORONTO
    Nach dem Abendessen
holte Arved Kleinmann seine Digitalkamera aus dem Wohnzimmerschrank und filmte
aufs Geratewohl ab, was ihn bewegte. Alle Kinder hatten ihre Teller leer
gegessen, Linda, die sonst als Köchin keine Leuchte war, hatte mit der
Spinat-Lasagne einen hundertprozentigen Treffer gelandet. Lea gackerte vor
Vergnügen, Max war ausnahmsweise brav gewesen und Rebecca mit ihrem Handy
beschäftigt. Hätte sie nicht vorhin den Wunsch geäußert, im kommenden Jahr die
Schule zu wechseln, weil an der Yorkland nach Prinzipien der Bibel unterrichtet
wurde, es wäre ein perfekter Abend gewesen. Arved war nicht besonders religiös,
aber er fand auch nichts völlig falsch dabei, wenn Kinder – in einem liberalen
Rahmen – nach Prinzipien der Bibel erzogen wurden. Wahrscheinlich ging es Becky
nur darum, keine Schuluniform mehr tragen zu müssen. Oder aber sie wurde von
irgendwem beeinflußt. Wem schreibst du denn dauernd? fragte Arved seine
Tochter, und die zuckte mit den Schultern, was heißen sollte: Nichts
Besonderes. Eben hatte sie eine Nachricht von Cyberjack bekommen. Willst du am Wochenende was erleben, Honey? Sie schrieb ihm als Antwort: Klar, warum nicht? Hier sterbe ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher