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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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    Das ist die Straße, die ich liebe. Breit wie eine Avenue, in der Mitte mit Bäumen bepflanzt und einem Denkmal von Friedrich ‘dem Schwachen, oder wie dieser Herr aus den früheren Jahrhunderten heißt. Ich habe noch nicht einmal zu ihm aufgesehen, wie er da droben auf seinem Steinsockel sitzt, die Blumen zu seinen Füßen haben mir mehr zu sagen. Außerdem müßte man zurücktreten, weit auf die Fahrbahn hinaus, um den Blick zu ihm hinaufzurichten. Das geht vielleicht nachts, nach drei Uhr, wenn die Wagen weniger geworden sind, die um die Mittagsstunde wie ein dichtes Rudel daherbrausen. Aber was soll mir das steinerzene Denkmal? Ist er ein Souverän? Nun, der meine ist er nicht, ich habe andere hinter mir. Bei uns zu Lande wechselt alle vier Jahre das Staatsoberhaupt, mal ist es ein Dünner und mal ein Dicker; die Dünnen sind mir lieber, außer wenn sie Choleriker sind und mit der Faust auf den Tisch schlagen. Aber vielleicht ist er da oben, in Erz gegossen, gar kein Monarch, vielleicht nur der Leibarzt des Monarchen, dem man bei Lebzeiten schon ein Denkmal errichtete. Denn wenn der Monarch unter seinen Händen gestorben ist, geschieht dies hinterher höchst selten. Interessiert mich auch gar nicht, wer da oben thront! Die hübschen Mädchen, die mich überholen, mit ihren wippenden Röcken und einem Duft von Süßigkeit, daß ich die Luft hinter ihnen schmunzelnd einschnuppere, das ist meine Welt.
    Ich versuche die Straße zu überqueren, nicht durch den Tunnel unter dem Denkmal, das ist etwas für Ängstliche und alte Leute, nein, ich winke mit der Hand und winde mich zwischen den Wagen hindurch. Sie können hier sowieso nicht schnell fahren, weil da drüben eine Baustelle ist, ein Engpaß, ein Kaufhaus baut dreißig Stockwerke in den Himmel hinauf. Ich möchte wissen, was die dort feilbieten wollen. Ein Kaufhaus,
    »Paradies der Damen«, wie sie ankündigen. Was hat eine Frau schon am Leibe? Drei kleine Wäschestücke, oft nur zwei, wenn sie das Hemd überzuziehen vergessen hat, einen Rock, eine Bluse, einen Mantel, ein Paar Strümpfe, finis , Schluß, Ende! Das geht alles zusammengepackt in ein winziges Köfferchen, leicht aufs Motorrad hinten aufzubinden, wenn die flotte Fahrt beginnt. Und hier entstehen dreißig Stockwerke in einer Frontbreite von 60 Metern, und alles mit Damenkleidern, Damenmänteln, Damenblusen gefüllt? Bis zum Rand gefüllt? Braucht denn eine Frau, ein junges Mädchen zweihunderttausend Blusen, um die eine richtige zu finden? Muß sie erst neuntausend Röcke anprobieren, bis ihr einer paßt? Untenrum um den Bauch und oben im Kopf? Aber so viele Röcke müssen da sein, so viele Blusen, so viele Mäntel, wenn man bedenkt, daß sie dreißig Stockwerke hoch bauen, unseren lieben Damen zur Freude.
    Nebenan ist eine Bank, die ist nur acht Stock hoch. Die Filiale einer Großbank noch dazu. Haben die denn dort so viel Geld, daß sie ganze Säle brauchen, es zu horten? Für mich liegt keines dort, und wenn ich welches holen will, zeigen sie mir ihre leeren Kassen. Dabei müssen sie auf der Bank zum Unterschied von nebenan nicht einmal eine Auswahl bereithalten. Da ist ein Hundertmarkschein wie der andere. Wenn ich Bankdirektor wäre, brauchte ich nur einen winzigen Raum, den ich übersehen kann, und hätte dort meine Prägepresse, die genau anzeigt, wie viele neue Hunderter ich heute gedruckt habe. Die verrechne ich dann mit der Bundesbank. Und die anderen acht Stock und das halbe Erdgeschoß, für die hätte ich eine treffliche Verwendung. In sie hinein würde ich Wohnungen bauen, nichts als Wohnungen, in dieser Lage im Zentrum! Die Leute, die dort wohnen, brauchen keinen Wagen, keine Straßenbahn, keinen Omnibus. Man wohnt in der Stadt und geht zu Fuß. Die ganze Verkehrsfrage, an der unsere Stadt so leidet, wäre gelöst. Und wenn man eine Bluse kaufen will oder einen Mantel, geht man in eine farbenfreudige Boutique, mit Spiegeln und Blumen aufgehellt, aber bei uns ist alles so nobel. Nickel, Nickel und nochmals Nickel! Schaufensterscheiben, so groß, daß man, ohne anzustoßen, ein Einfamilienhaus hindurchschieben könnte! Und wenn man eintritt, sich eine Krawatte zu kaufen oder ein Paar Strümpfe, glaubt man zuerst, man ist auf der falschen Hochzeit, so pompös ist das alles. Gar kein Laden mehr wie in der guten alten Zeit! Hier gibt es alles, nur eines nicht: die Freundlichkeit. Sie ist ausverkauft, kommt auch nicht wieder herein. Höflichkeit ist die Mode von gestern, ein wenig
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