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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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    Es war ein vollkommen gewöhnlicher Freitagnachmittag im tropischen Panama, doch dann stapfte Andrew Osnard in Harry Pendels Laden, um sich Maß für einen Anzug nehmen zu lassen. Als er hereinkam, war Pendel noch der alte. Als Osnard dann wieder ging, war Pendel ein anderer. Dazwischen vergingen siebenundzwanzig Minuten auf der Mahagoni-Uhr von Samuel Collier, Eccles, einem der vielen historischen Gegenstände im Hause Pendel & Braithwaite Co., Limitada, Hofschneider, ehemals Savile Row, London, derzeit Vía España, Panama City.
    Beziehungsweise ganz in der Nähe. Der Vía España so nahe, daß es keine Rolle mehr spielte. Der Kürze halber P & B genannt.
     
    Der Tag begann pünktlich um sechs, als der Lärm von Bandsägen, Baustellen und Verkehr und der zackige Sprecher des Armeesenders Pendel aus dem Schlaf rissen. »Ich war nicht da, das waren zwei andere, sie hat mich zuerst geschlagen, und zwar mit ihrem Einverständnis, Herr Richter«, erklärte er dem Morgen aus einem vagen Gefühl drohender Bestrafung heraus. Dann fiel ihm der für halb neun angesetzte Termin mit seinem Bankdirektor ein, und er sprang im selben Augenblick aus dem Bett, als seine Frau Louisa »Nein, nein, nein « jammerte und sich die Decke über den Kopf zog, weil die Morgenstunden für sie am schlimmsten waren.
    »Warum nicht zur Abwechslung mal ›ja, ja, ja‹?« fragte er sie im Spiegel, während er wartete, daß das Wasser warm wurde. »Ein bißchen mehr Optimismus könnte nicht schaden, Lou.«
    Louisa stöhnte, doch ihr Leib unter dem Laken rührte sich nicht; also gönnte sich Pendel zur Hebung seiner Laune einen schnoddrigen Schlagabtausch mit dem Nachrichtensprecher.
    » Der Oberbefehlshaber des US-Kommandos Süd hat gestern abend erneut betont , daß die Vereinigten Staaten ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Panama in Wort und Tat nachkommen werden «, verkündete der Nachrichtensprecher mit männlicher Majestät.
    »Alles erstunken und erlogen, Lou«, gab Pendel zurück, während er sich das Gesicht einseifte. »Wenn’s nicht gelogen wäre, würden Sie’s nicht so oft wiederholen, stimmt’s, General?«
    » Der Präsident von Panama ist heute in Hongkong eingetroffen , der ersten Station seiner zweiwöchigen Reise durch mehrere Hauptstädte Südostasiens «, sagte der Nachrichtensprecher.
    »Achtung, jetzt kommt dein Boß!« rief Pendel und hob eine seifige Hand, um seine Frau aufmerksam zu machen.
    » Er reist in Begleitung einer Gruppe von panamaischen Wirtschafts- und Handelsexperten , darunter sein Berater für die Zukunftsplanung des Panamakanals , Dr .  Ernesto Delgado .«
    »Gut gemacht, Ernie«, sagte Pendel beifällig und warf seiner ruhenden Frau einen Blick zu.
    » Am Montag reist die Präsidentendelegation nach Tokio weiter , wo wichtige Gespräche über eine Ausweitung japanischer Investitionen auf der Tagesordnung stehen «, sagte der Nachrichtensprecher.
    »Und diese Geishas werden gar nicht wissen, was da plötzlich über sie gekommen ist«, sagte Pendel mit gedämpfter Stimme, während er sich die linke Wange rasierte. »Wenn dein Ernie auf Beutezug geht …«
    Mit einem Schlag war Louisa wach.
    »Harry, ich will nicht, daß du so von Ernesto redest, nicht mal im Scherz, bitte.«
    »Gewiß, meine Liebe. Tut mir schrecklich leid. Es soll nicht wieder vorkommen. Niemals «, versprach er, während er die schwierige Stelle unmittelbar unter den Nasenlöchern bearbeitete.
    Aber Louisa war noch nicht zufrieden.
    »Warum soll Panama nicht in Panama investieren können?« schimpfte sie, schlug die Decke zurück und richtete sich kerzengerade in dem weißen Leinennachthemd auf, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. »Warum müssen das Asiaten für uns tun? Sind wir nicht reich genug? Haben wir nicht allein in dieser Stadt einhundertundsieben Banken? Warum können wir nicht unser Drogengeld nehmen und unsere Fabriken und Schulen und Krankenhäuser selber bauen?«
    Das ›wir‹ war nicht wörtlich gemeint. Louisa war Bürgerin der Kanalzone, dort aufgewachsen, als die Zone durch den damals geltenden Knebelvertrag als für alle Zeiten amerikanisches Gebiet galt, auch wenn das Gebiet nur zehn Meilen breit und fünfzig Meilen lang war und links und rechts von den verachteten Panamaern bewohnt wurde. Ihr verstorbener Vater war bei einer Pioniereinheit gewesen und, als er an den Kanal versetzt wurde, vorzeitig aus dem Dienst geschieden, um als Angestellter der Kanalgesellschaft zu arbeiten. Ihre ebenfalls
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