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Die Sturmfluten des Frühlings

Die Sturmfluten des Frühlings

Titel: Die Sturmfluten des Frühlings
Autoren: Ernest Hemingway
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    Yogi Johnson stand da und blickte aus dem Fenster einer großen Pumpenfabrik in Michigan. Bald würde der Frühling da sein. Konnte das, was dieser Tintenkleckser, der Hutchinson, gesagt hatte ‹Wenn Winter kommt, ist Frühling auch nicht fern›, wohl in diesem Jahr wieder wahr werden? Yogi Johnson sann darüber nach. Ganz nah von Yogi, am übernächsten Fenster, stand Scripps O’Neil, ein großer, magerer Mann mit einem großen, mageren Gesicht. Beide standen da und blickten hinaus auf den leeren Hof der Pumpenfabrik. Schnee bedeckte die in Holzverschlägen verpackten Pumpen, die bald abtransportiert werden sollten. Wenn der Frühling erst einmal da war und der Schnee weggeschmolzen, würden die Arbeiter der Fabrik die Pumpen aus den Haufen herausbrechen, wo sie. eingeschneit waren, und sie zu der G.R.&I.-Station hinunterschaffen, wo man sie auf flache Güterwagen laden und abtransportieren würde. Yogi Johnson blickte aus dem Fenster auf die eingeschneiten Pumpen, und sein Atem hinterließ kleine, märchenhafte Gebilde auf der kalten Fensterscheibe. Yogi Johnson dachte an Paris. Vielleicht waren es die kleinen, märchenhaften Gebilde, die ihn an die heitere Stadt erinnerten, wo er einmal zwei Wochen verbracht hatte. Zwei Wochen, welche die glücklichsten seines Lebens sein sollten. Das lag jetzt alles hinter ihm. Das und alles andere.
    Scripps O’Neil hatte zwei Ehefrauen. Als er aus dem Fenster blickte, groß und mager und elastisch, in seiner ganzen ihm eigenen ranken Härte, dachte er an alle beide. Die eine wohnte in Mancelona, und die andere wohnte in Petoskey. Die Frau, die in Mancelona wohnte, hatte er seit letztem Frühjahr nicht gesehen. Er blickte hinaus auf die schneebedeckten Pumpenhöfe und dachte nach, was dieser Frühling wohl bedeuten würde. Mit seiner Frau in Mancelona betrank sich Scripps häufig. Wenn er betrunken war, waren er und seine Frau glücklich. Dann gingen sie zusammen zur Eisenbahnstation hinunter und wanderten auf den Gleisen entlang und saßen zusammen und tranken und beobachteten, wie die Züge vorbeifuhren. Sie saßen unter einer kleinen Fichte auf einem kleinen Hügel, der die Eisenbahngleise überblickte, und tranken. Manchmal tranken sie die ganze Nacht lang. Manchmal tranken sie eine Woche hintereinander. Das tat ihnen gut. Das erfüllte Scripps mit Kraft.
    Scripps hatte eine Tochter, die er scherzhaft Läuschen O’Neil nannte. Ihr richtiger Name war Lucy O’Neil. Eines Abends, nachdem Scripps und seine Alte drei oder vier Tage lang an den Eisenbahngleisen draußen getrunken hatten, ging ihm seine Frau verloren. Er wußte nicht, wo sie war. Als er zu sich kam, war alles dunkel. Er ging die Eisenbahngleise entlang, der Stadt zu. Die Schwellen waren steif und hart unter seinen Füßen. Er versuchte auf den Schienen zu gehen. Er konnte es nicht. Das hatte er schnell heraus. Er begann von neuem auf den Schwellen zu gehen. Es war ein weiter Weg bis zur Stadt. Schließlich kam er dorthin, wo er die Lichter des Rangierbahnhofs sehen konnte. Er verließ die Gleise und kam an der High School von Mancelona vorbei. Es war ein Gebäude aus gelben Ziegelsteinen. Es hatte nichts Rokokohaftes an sich wie die Gebäude, die er in Paris gesehen hatte. Nein, er war niemals in Paris gewesen. Das war ja nicht er. Das war sein Freund Yogi Johnson.
    Yogi Johnson blickte aus dem Fenster. Es würde bald Zeit sein, die Pumpenfabrik für die Nacht zu schließen. Er öffnete behutsam das Fenster, nur einen Spalt. Nur einen Spalt; aber das war genug. Draußen auf dem Hof hatte der Schnee zu schmelzen begonnen. Es blies ein warmer Wind. Ein Chinook wie ihn die Pumpenarbeiter nannten. Der warme Chinook kam durchs Fenster herein in die Pumpenfabrik. Alle Arbeiter legten ihre Werkzeuge weg. Viele von ihnen waren Indianer.
    Der Werkmeister war ein untersetzter Mann mit eiserner Kinnlade. Er hatte einmal eine Reise bis nach Duluth gemacht. Duluth war weit jenseits der blauen Wasser des Sees in den Hügeln von Minnesota. Dort war ihm etwas Wunderbares geschehen.
    Der Werkmeister steckte den Finger in den Mund, um ihn anzufeuchten, und hielt ihn hoch in die Luft. Er spürte den warmen Wind an seinem Finger. Er schüttelte mißgestimmt den Kopf und lächelte den Männern vielleicht ein bißchen bärbeißig zu.
    «Na, das ist ein regelrechter Chinook, Leute», sagte er.
    Die Arbeiter hängten zum größten Teil schweigend ihre Werkzeuge auf. Die halbfertigen Pumpen wurden in ihre Gestelle geräumt. Die
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