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Die Sturmfluten des Frühlings

Die Sturmfluten des Frühlings

Titel: Die Sturmfluten des Frühlings
Autoren: Ernest Hemingway
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Schriftsteller? Waren sie wie Werbeleute, die für unsere volkstümlichen Wochenschriften die Anzeigen schreiben? Oder waren sie wie Europäer, die durch den Krieg entnervt und verbraucht waren und ihre besten Jahre hinter sich hatten? Konnte er dem Telegrafisten da die ganze Geschichte erzählen? Würde er Verständnis dafür haben?
    «Ich ging von zu Hause fort», fing er an. «Ich kam an der High School von Mancelona vorbei – »
    «Ich kannte ein Mädchen in Mancelona», sagte der Telegrafist. «Vielleicht kannten Sie sie, Ethel Enright?»
    Es hatte keinen Sinn weiterzureden. Er würde sich kurz fassen. Er würde ihm die nackten Tatsachen erzählen. Außerdem war es hündisch kalt. Es war kalt, als er dort auf dem vom Wind gepeitschten Bahnsteig stand. Irgend etwas sagte ihm, daß es zwecklos war, weiterzuerzählen. Er blickte zu dem Wild hinüber, das steif und kalt auf einem Haufen lag. Vielleicht waren das auch Liebespaare gewesen. Manche waren Rehböcke und manche waren Rehe. Die Rehböcke hatten Hörner. Daran konnte man sie erkennen. Bei Katzen ist es schwieriger. In Frankreich kastriert man die Katzen, aber die Pferde kastriert man nicht. Frankreich war weit weg.
    «Meine Frau hat mich verlassen», sagte Scripps plötzlich.
    «Wundert mich gar nicht, wenn Sie mit dem verdammten Vogel rumlaufen, der aus Ihrem Hemd rausguckt», sagte der Telegrafist.
    «Wie heißt diese Stadt?» fragte Scripps. Der eine kurze Augenblick geistiger Gemeinschaft, den sie gehabt hatten, war vorbei. Er war eigentlich gar nicht richtig dagewesen. Er hätte aber da sein können. Es hatte keinen Sinn, das zurückbringen zu wollen, was jetzt vorbei war. Was sich verflüchtigt hatte.
    «Petoskey», antwortete der Telegrafist.
    «Danke», sagte Scripps. Er wandte sich ab und ging in die schweigende, verlassene, nordische Stadt. Glücklicherweise hatte er 450 Dollar in der Tasche. Er hatte, gerade ehe er mit seiner Alten auf diese Trinktour gegangen war, George Horace Lorimer eine Geschichte verkauft. Warum war er nur eigentlich gegangen? Worum drehte sich denn das Ganze überhaupt?
    Zwei Indianer kamen ihm auf der Straße entgegen. Sie blickten ihn an, aber der Ausdruck ihrer Gesichter veränderte sich nicht. Der Ausdruck ihrer Gesichter blieb sich gleich. Sie gingen in den Friseurladen von McCarthy.

5
    Scripps O’Neil stand unentschlossen vor dem Friseurladen. Drinnen ließen sich Männer rasieren. Andere Männer – eben solche – ließen sich die Haare schneiden. Wieder andere Männer saßen in hohen Stühlen an der Wand entlang und rauchten und warteten darauf, auf dem Friseurstuhl an die Reihe zu kommen, bewunderten die Bilder, die an der Wand hingen, oder bewunderten ihr eigenes Abbild in dem großen Spiegel. Sollte er, Scripps, auch dort hineingehen? Immerhin hatte er 450 Dollar in der Tasche. Er konnte gehen, wohin er wollte. Er blickte noch einmal unentschlossen hin. Es war ein einladender Anblick, die Gesellschaft von Männern, der warme Raum, die weißen Jacken der Friseure, die geschickt mit ihren Scheren schnippelten oder ihre Klingen quer durch den Schaum zogen, der das Gesicht von irgendeinem Mann bedeckte, der sich rasieren ließ. Die verstanden ihr Handwerkszeug zu benutzen, diese Friseure. Aber irgendwie war es nicht das, was er wollte. Er wollte etwas anderes. Er wollte essen. Außerdem mußte er sich um seinen Vogel kümmern.
    Scripps O’Neil wandte dem Friseurladen den Rücken und schritt weiter die Straße der schweigsamen, vereisten, nordischen Stadt entlang. Wie er so ging, hingen zu seiner Rechten die Zweige der Trauerbirken blattlos und schwer mit Schnee beladen zur Erde. An sein Ohr drang der Ton von Schlittenglocken. Vielleicht war es Weihnachten? Im Süden würden jetzt die kleinen Kinder Knallfrösche springen lassen und einander «Schenk mir was! Schenk mir was!» zurufen. Sein Vater stammte aus dem Süden. Er war im Heer der Rebellen Soldat gewesen. Weit, weit zurück in den Tagen des Bürgerkriegs. Sherman hatte auf seinem Marsch ans Meer ihr Haus niedergebrannt. «Der Krieg ist die Hölle», hatte Sherman gesagt. «Aber Sie müssen’s verstehen, Mrs. O’Neil. Ich muß es tun.» Er hatte das alte Haus mit den weißen Säulen mit einem Streichholz in Brand gesteckt.
    «Wenn General O’Neil hier wäre, Sie Feigling», hatte seine Mutter in ihrem gebrochenen Englisch gesagt, «dann Sie hätten nie gewagt, dies Haus mit einem Streichholz anzustecken.»
    Rauch stieg auf aus dem alten Haus. Das Feuer
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