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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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Eins
    D rei Monate, nachdem Mum fortgegangen war, tauchten die Zigeuner auf. Eines Sonntagnachts, während wir schliefen, schlugen sie ihr Lager auf der Pferdekoppel auf. Mein Bruder Sam war ganz aus dem Häuschen, als er sie am nächsten Morgen entdeckte. »Zigeuner!«, rief er.
    In Sams Klasse war eine sogenannte Zigeunerin gewesen. Sie hieß Grace Fitzpatrick. Jeder kannte sie, denn sie war mit den Füßen genauso geschickt wie mit den Händen. Sie konnte sogar ihren Namen mit den Füßen schreiben, was merkwürdig war, weil sie gar nicht lesen konnte. Sam war in der Aula einmal neben ihr gesessen und hatte sich danach beschwert, dass sie nach Katzenpisse und Lagerfeuer roch.
    »Die essen nur Gegrilltes«, erklärte er mir, als wir sie von Vaters Schlafzimmerfenster aus beobachteten.
    Für mich hörte sich das wunderbar an.
    Auf ihrem Lagerplatz standen ein Wohnwagen, ein klappriges Auto und ein paar Meter davon entfernt brannte ein Feuer, ein Kochtopf hing darüber.
    »Ehe man sich versieht, sind es, verdammt noch mal, ein paar Hundert«, sagte Dad und leerte das Sägemehl aus den Taschen seines Overalls auf den Fußboden.
    »Wahrscheinlich asphaltieren sie über Nacht das Feld«, sagte Sam. »Und dann verlangen sie von uns auch noch Geld dafür.«
    Dad brummelte vor sich hin. »Die wieder loszuwerden, wird ein Albtraum, so viel steht verflucht noch mal fest.«
    Er ging und wir lehnten uns weiter auf den Fenstersims und schauten hinaus.
    Sam ritzte mit den Fingernägeln Kerben ins Holz, und ich fragte mich, was Daddy vorhatte. Früher hätte Mum diese Angelegenheit in die Hand genommen. Spätestens bis zum Frühstück hätte sie sich mit den Leuten angefreundet, sodass die ihr jeden Gefallen getan hätten, selbst wenn sie deshalb ihr Lager abbrechen mussten.
    »Schau dir diese Hunde an«, sagte Sam. »Ich wette, sie lassen sie gegeneinander kämpfen. Bestimmt binden sie ihnen scharfe Klingen an die Pfoten.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Hab ich im Fernsehen gesehen«, sagte er.
    »Ach ja? Im Kinderprogramm?«
    Er stieß mich mit dem Ellbogen, bis ich zur Seite wich. Zwei Windhunde streunten über die Koppel, und ich stellte mir vor, wie sie einander anknurrten und wie die Klingen aufblitzten, aber der Gedanke war einfach lächerlich. Dann ging die Tür des Wohnwagens auf und ein winziger schwarzer Hund huschte heraus.
    Eine Frau trat in die Tür, groß gewachsen und schlank, ihr rotes Haar fiel ihr auf einer Seite über die Schulter. Sie war wunderschön. Als sie die Arme über den Kopf hob und sich streckte, blitzte unter der grünen Weste ein Streifen ihrer gebräunten Taille auf. Hinter ihr glitzerte der weiße Wohnwagen in der Sonne.
    »Schlampe«, sagte Sam verächtlich.
    Plötzlich wirbelte die Frau herum und ein Teenager mit hochgekrempelten Jeans sprang lachend aus dem Wagen. Offensichtlich hatte er sie erschrecken wollen. Die drei Hunde rannten zu ihm – der kleine Schwarze hechelte hinter den anderen her – und er ging in die Knie, um mit ihnen zu spielen. Sie schleckten über seine nackte Brust.
    Sam verschlug es für einen Moment die Sprache. Der Junge war ungefähr in seinem Alter. Bestimmt war er der Sohn der Frau, denn er war ebenfalls groß gewachsen und schlank, aber er hatte helleres rotbraunes Haar, das ihm bis über die Ohren fiel und sich in seinem Nacken rollte.
    »Wette, der geht nicht in die Schule«, sagte Sam.
    »Iris, wo bleibst du?«, rief Dad die Treppe herauf. »Du bist viel zu spät dran.«
    »Oh, zu dumm aber auch«, sagte Sam schadenfroh, denn er hatte bald Prüfung und deshalb keinen Unterricht mehr.
    Aber ich musste unbedingt noch einen Moment lang bleiben und zuschauen, wie die rothaarige Frau Wasser aus dem Topf in einen Eimer goss und anfing, die Stufen ihres Wohnwagens zu scheuern.
    Dad und ich verließen gleichzeitg das Haus. Mit geballten Fäusten stapfte er Richtung Koppel.
    Ich konnte die Sommerferien kaum noch erwarten. Alle in der Schule gingen mir auf die Nerven. Vor allem Matty. Als ich ihr in der Aula von den Wohnwagenleuten erzählte, fing sie sofort mit der Geschichte vom Bruder des Freundes ihrer zweiten Cousine an, der sich nur eine Zeitung am Kiosk kaufen wollte, als plötzlich ein Zigeunermädchen auf ihn losstürmte und ihm einen Golfball in einem Strumpf über den Kopf geschlagen hatte. Einfach so. Ich sagte ihr, bei uns seien keine Mädchen, sondern ein Junge, und ich beschrieb ihr seine Haare, aber sie rümpfte nur die Nase.
    »Zigeuner sind eklig,
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