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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman
Autoren: Franziska Dalinger
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1.
    Ich bin heute mal ausnahmsweise dreißig. Jedenfalls soll man das glauben. Mandy meint, ja, für Ende zwanzig würde ich schon durchgehen. Oder Mitte zwanzig. Ist ja auch egal. Hauptsache, man nimmt mir ab, dass ich als Talentsucherin in einer Model-Agentur arbeite, Yvonne Holzer heiße und weiß, was ich da tue.
    Dafür muss man nicht besonders schön sein, sondern sich bloß erwachsen geben, eine affige Pelzjacke tragen und ein Klemmbrett mit sich herumschleppen. Das Vorzeige-Model an meiner Seite lächelt verführerisch. Komisch, ich hätte gedacht, dass jeder in dieser Stadt Mandy kennt, aber offenbar ist dem nicht so. Mandy hat an unserer Schule sozusagen Promistatus, hier in der Fußgängerzone kommt sie ziemlich glaubhaft als echter Star rüber.
    »Darf ich mich vorstellen?« Ich drücke dem jungen Mann, der gerade aus dem Kaufhaus schlendert und seinen Kragen hochzieht, meine Visitenkarte in die Hand. »Von der Agentur Miller und Johannsson. Sie sind genau das Gesicht, nach dem wir für unseren Kunden Ausschau halten. Für unsere nächste Kampagne.«
    Der Typ zwinkert und starrt mich an. Die letzten drei, bei denen ich es versucht habe, sind kopfschüttelnd weggegangen. Aber dieser hier ist interessiert, das merke ich sofort. Seine stoppeligen Wangen röten sich vor Aufregung. »Echt?«
    Nein, du Penner, natürlich nicht. Nichts hiervon ist echt. Außer deinem Wunsch, reich und berühmt zu sein und am besten sofort.
    »Natürlich. Wir kommen von einer seriösen Agentur, wir machen nie Scherze«, sage ich und rücke meine Brille zurecht, während Mandy sich das Lachen verbeißt und ihre neue Digi-Cam hervorholt, ein riesiges Teil, das ziemlich professionell aussieht.
    Unser Opfer ist lang und dünn und irgendwie noch nicht ganz ausgewachsen. Er hat blutige Stellen im Gesicht, wo er sich beim Rasieren geschnitten oder seine Pickel aufgekratzt hat oder was weiß ich. Handschuhe trägt er keine, die trockenen Hände sind rissig. Seine Finger zittern vor Aufregung, während er die Visitenkarte betrachtet. Die kann man sich einfach so am heimischen Drucker basteln, mein Lieber. Trau nie einer Visitenkarte.
    Oh Mann, ich fühle mich böse. Diesem armen Kerl hat wahrscheinlich noch nie im Leben jemand gesagt, dass er ein schönes Gesicht hat. Es gibt auch keinen Grund, warum irgendjemand dermaßen lügen sollte.
    Ich streiche mir die platinblonden Strähnen meiner Perücke aus der Stirn. Meine Kopfhaut darunter beginnt zu jucken, aber ich bringe ein aufmunterndes Grinsen zustande. »Wenn Sie dort bis zum Brunnen laufen würden? Und wieder zurück. Wir nehmen das auf, damit wir etwas haben, was wir unserem Kunden zeigen können.«
    »Äh ... jetzt?«, fragt er, total verunsichert. Eigentlich ist er ganz süß. So verlegen, dass es schon fast niedlich ist.
    »Klar, jetzt«, sagt Mandy streng. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Wir brauchen noch ein paar Gesichter für den Shampoo-Spot.«
    Der Typ hält seine schiefen Zähne in die Kamera, lächelt blöde und stolziert los. Nach zwei Metern fällt ihm wohl ein, dass er ohne Mütze besser aussehen könnte, denn er reißt sich die Strickhaube von den strähnigen Haaren. (Das bringt’s allerdings auch nicht, sorry!) Mandy filmt ihn, wie er bis zum Brunnen wackelt, mit einem Gang, den er wohl für den eines coolen, männlichen Models hält, und wieder zurückkommt. Ein paar Passanten sind auf uns aufmerksam geworden und tuscheln. Jetzt bloß nicht lachen.
    »Wie war das?«, fragt Mr. Zu-blöd-um-wahr-zu-sein. Er lächelt, er ist aufgeregt, die Mütze dreht er in seinen Händen hin und her, kann sich nicht entschließen, sie wieder aufzusetzen.
    »Perfekt«, sage ich gnädig. »Allerdings ... die Konkurrenz ist groß, das ist Ihnen doch bewusst?«
    »Der Herr, den wir hier vor einer Stunde hatten, hat mir doch irgendwie besser gefallen«, sagt Mandy. Sie wird ungeduldig und will ihn loswerden, das merke ich.
    Ich lächele entschuldigend. »Das will noch gar nichts heißen. Und letztendlich entscheidet der Geschmack des Kunden, nicht wahr? Wenn Sie mir noch Ihren Namen und wie wir Sie erreichen ... ja, danke.«
    Patrick, so heißt er, wirft uns noch einen Blick über die Schulter zu und schwebt beflügelt von dannen.
    »Dem haben wir den Tag gerettet, schätze ich«, meint Mandy. »Was meinst du, die kleine Dicke da vorne? Für die nächste Übergrößen-Kampagne?« Sie prustet los.
    »Die wird uns das nie im Leben abnehmen«, sage ich. Meine Nasenspitze ist rot von
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