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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe
Autoren: Lucy Clarke
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Sie sah sich selbst. Sie sah die fehlende Hälfte des Fotos, den Teil, den sie verloren glaubte.
    Mia hatte sich selbst an die Seite von Katie gezeichnet.
    Zusammen.
    Schwestern.
    So will ich sein.
    Katie wurde es schwindelig. Sie presste die Hände an die Schläfen. Unter ihr wütete die See, weiße schäumende Fäuste schlugen gegen scharfkantige Felsen. Manchmal reicht ein Wort, ein Lächeln, ein Blick, um zu verstehen. Für Katie reichte dieses Foto, das die Zeit um so viele Jahre zurückdrehte. Jahre, in denen sie Türen zugeschlagen und Arme ausgebreitet, böse Worte und aufrichtige Entschuldigungen ausgesprochen hatten. Jahre des Schweigens und des Lachens. Katie verstand. Mia hatte sie trotz alledem geliebt, sich ihr wieder nahefühlen wollen.
    Mia war hierhergekommen, über diesen dunklen Pfad, um Noah beizustehen. Katie konnte nur ahnen, mit welchen Gefühlen sie auf der Klippe gestanden hatte, aufgeputscht vom Alkohol, von der Dunkelheit verwirrt, bis an den Rand getrieben. Katie sah, wie Mia taumelte, sich nach vorn bog und instinktiv die Arme ausstreckte, die zu Flügeln wurden.
    Sie würde nie erfahren, was Mia in diesen entsetzlichen Sekunden empfunden hatte, ob sich die Zeit verlangsamt, sie die rauschende Salzluft geschmeckt, das Rufen der Vögel in den dunklen Felsnischen gehört hatte – oder ob ihre letzten Augenblicke ein Kaleidoskop aus Erinnerungen an ihr Leben waren. Aber eines wusste sie. Mia war nicht auf diese Klippe gegangen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie war gekommen, um einem Menschen zu helfen, den sie liebte.
    Katie spürte, wie sich Noahs Finger fest um ihr Handgelenk schlossen und sie vom Rand der Klippe weggezogen wurde.
    Plötzlich erstarrte er.
    Schritte knirschten über das Plateau, eine Gestalt trat aus der Dunkelheit. »Finn?«
    Finn atmete heftig. Mondlicht fiel auf sein Gesicht, seine Züge waren hart. Vielleicht hatte er ihre Tränen bemerkt, und auch, dass Noah sie am Arm festhielt, denn plötzlich rannte er auf sie zu.
    Â»Weg von ihr!«
    Noah ließ ihren Arm los.
    Â»Alles okay? Hat er dir wehgetan?«
    Â»Nein, nein, alles okay.«
    Finns Blick zuckte zu Noah. Sein Körper spannte sich an. Und er ging auf Noah zu.
    Noah rührte sich nicht. Er stand mit dem Rücken zum Abgrund. Nur noch wenige Schritte – ein Stoß, und Noah würde das Gleichgewicht verlieren.
    Â»Was, zur Hölle, tust du hier?«, brüllte Finn.
    Â»Sie ist gestürzt«, sagte Katie. »Mia ist gestürzt.«
    Â»Ich war bei ihr«, sagte Noah und erklärte Finn, was in jener Nacht geschehen war. Dass ihr Tod ein Unfall war.
    Finn hörte zu, seine Miene blieb undurchdringlich. Dann sagte er: »Du hast uns alle an eine Lüge glauben lassen.«
    Â»Es tut mir wirklich leid.«
    Â»Mia ist doch nur deinetwegen hergekommen! Wir wollten zusammen nach Neuseeland. Es war alles schon geplant.«
    Â»Ich hab sie nie gebeten, hierherzukommen.«
    Da packte Finn nach Noah und drängte ihn zurück.
    Katie schlug sich die Hand auf den Mund. Bis zum Abgrund waren es nur Zentimeter. Noch ein Schritt, und sie würden abstürzen.
    Finn trat ganz dicht vor Noah. »Und das spricht dich von aller Verantwortung frei?«, schrie er.
    Noah zeigte keine Gegenwehr. »Ich will mich gar nicht freisprechen.«
    Â»Finn«, flehte Katie. »Lass ihn los.«
    Finn schien sie nicht zu hören. »Wie konntest du sie einfach so verlassen und nach Bali abhauen? Du hast es ihr nicht einmal gesagt. Sie hatte vorher schon die Hölle durchgemacht.«
    Â»Das weiß ich. Und ich wollte ihr nicht auch noch wehtun. Wie hätte ich sie denn glücklich machen können, wenn ich mich selbst nicht glücklich machen kann? Darum bin ich gegangen.« Er hielt Finns Blicken stand. »Aber das heißt nicht, dass sie mir nichts bedeutet hätte. Ich habe sie geliebt.«
    Eine Weile fielen keine Worte mehr, nur der Wind rauschte.
    Katie schlug das Herz bis zum Hals.
    Dann ließ Finn die Arme sinken und wich zurück.
    Katie stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte.
    Noah rieb sich langsam über den Hals. Als er aufsah, traf sich sein Blick mit Katies. »Ich wünschte sehr, es wäre alles anders gekommen. Es tut mir leid.«
    Katie sagte nur: »Es war ein Unfall, Noah.« Denn er hatte ihr in dieser Nacht etwas geschenkt, was ungeheuer wertvoll war: die Wahrheit.
    Er
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