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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe
Autoren: Lucy Clarke
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Vorstellungen aufgefüllt. Doch damit hatte sie nicht nur Mias Geschichte, sondern auch ihre eigene erschaffen.
    Sie hatten beide denselben Weg genommen, waren allein an der Küste dreier Kontinente entlanggereist und hatten die Schwester doch immer mitgenommen, in dem verzweifelten Versuch, sie zu verstehen – und auch sich selbst. Die vielen Fäden, die ihr Leben miteinander verknüpft hatten – mochten sie auch noch so dünn, verblichen oder lose sein –, würden nie durchschnitten werden. So war das unter Schwestern. Und deshalb trugen ihre Füße sie auch näher an den Klippenrand.
    Sie bewegte sich langsam vorwärts, bis nur noch ein einziger Schritt sie vom Abgrund trennte. Der Wind wirbelte durch ihr Haar, die Wellen dröhnten tief in ihrer Brust.
    Da bin ich, Mia, so wie du. Ein halbes Jahr zu spät. Wie war das, als du hier gestanden hast? Warst du so allein, dass du das Gefühl hattest, ein Teil von dir wäre ausgehöhlt? Denn so fühle ich mich ohne dich. Ich hab immer gedacht, wenn du in Gefahr wärst, würde ich das spüren. Ich hatte geglaubt, irgendein Abschnitt unserer DNS würde so laut schreien, dass ich es hören würde. Doch so war es nicht. An dem Abend, als du hier warst, habe ich geduscht, mir das Nachthemd angezogen, Feuchtigkeitscreme aufgetragen und mich zum Spiegel vorgebeugt, um die ersten Fältchen an den Augen zu betrachten. Dann bin ich ins Bett gegangen, hab das Licht ausgemacht und bin eingeschlafen. Als du gefallen bist, hab ich geschlafen.
    Sie ließ die Taschenlampe durch die Finger gleiten und sah zu, wie das Licht durch die Nacht trudelte. Es stürzte mehrere lange Sekunden in die Tiefe. Dann verlosch es.
    Katie war am Endpunkt von Mias Reise angelangt.
    Doch wohin führte ihre Reise?
    Mia presste ihre Füße an den Rand der Klippe. Dann schloss sie die Augen.
    Â»Katie?«
    Ihr Name blitzte durch die Dunkelheit. Sie erstarrte. Ein kühler Wind blies ihr entgegen.
    Â»Katie?«
    Sie konnte die Stimme nicht einordnen; es war eine Männerstimme, tief und klangvoll. Katie drehte sich langsam um.
    Vor einem Felsen stand ein Mann, etwa fünf Meter von ihr entfernt, eine dunkle Gestalt im Mondlicht. Katie bereute, dass sie die Taschenlampe nicht mehr hatte, um mit dem Lichtstrahl das Gesicht des Fremden erhellen zu können.
    Â»Du bist Katie, oder?«
    Er hatte einen Akzent. Einen australischen Akzent. »Noah?«
    Â»Ja.«
    Sie blinzelte und schüttelte den Kopf.
    Er löste sich vom Felsen. Unter seinen Füßen knirschten Steine. Langsam kam er näher, bis er neben ihr am Rand der Klippe stand. Katie konnte erkennen, dass tiefe Schatten unter seinen Augen lagen und die Wangen eingefallen waren. Er ließ den Blick auf ihr ruhen. »Ich hab mir gedacht, dass du irgendwann kommst.«
    Â»Wieso?«
    Â»Sie war deine Schwester.«
    Ãœber ihnen leuchteten die Sterne, die einzigen Zeugen dieser Unterhaltung. Katie musterte Noah und verglich ihn mit Mias Schilderungen. Mia hatte ihn als schön beschrieben – ein ungewöhnliches Attribut für einen Mann –, doch sein Gesicht zeigte tatsächlich eine eigenwillige Schönheit. Im Mondlicht aber wirkten seine Züge kalt, und Katie ermahnte sich: Du weißt nicht viel von diesem Mann.
    Â»Bist du mir gefolgt?«, fragte sie.
    Â»Nein.«
    Â»Was machst du dann hier?«
    Â»Ich komm manchmal hierher, um nachzudenken.«
    Â»Ich hab davon gelesen. Mia hat Tagebuch geführt.«
    Â»Ja, ich weiß.«
    Â»Und du warst auch der Grund, weshalb sie überhaupt auf Bali war«, sagte sie kalt. Die Bitternis wollte nicht aus ihrer Stimme weichen.
    Er senkte den Kopf. »Ja.«
    Â»Sie hat dich geliebt. Und du hast ihr nur wehgetan.«
    Er änderte seine Haltung, und Katie wurde es bewusst, wie nahe sie beide am Abgrund standen. Ein Windstoß presste ihr das Kleid gegen die Beine.
    Â»Hier muss Mia gestanden haben.« Sie sah sich um, spürte die Leere, die sich vor ihr erstreckte, und dachte an ihren Fallschirmsprung, an das entsetzliche Gefühl, sich vorzubeugen und ins Nichts zu fallen. »Sie muss wahnsinnige Angst gehabt haben.«
    Dann kam ihr das letzte Gespräch mit Mia in den Sinn. Es lastete so schwer auf ihr, dass sie manchmal glaubte, ihre Worte hätten Mia erst den Weg hierher gewiesen. »Ich kann den Gedanken, dass sie ganz allein war, kaum ertragen.«
    Seine
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