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Coruum Vol. 2

Coruum Vol. 2

Titel: Coruum Vol. 2
Autoren: Michael R. Baier
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1 Prolog
Guatemala, Tikal
12. Juni 560
29202/4/20 SGC
     
     
    Jaguarundis Augen weiteten sich.
    Flackerndes Licht drang aus dem reich strukturierten Türsturz des Tempels auf dem Plateau der Hauptpyramide vor ihm und überstrahlte den rötlichen Schein der Fackeln auf dem Kalksteinboden. Das Flackern hatte eine helle blaue Farbe – Speer des Königs, der erste Heerführer seines Herrn, des Herrschers von Coruum, hatte ihn geschickt, es hier in Tikal zu finden. Der junge Krieger schmiegte sich an die kühle Oberfläche der rauen Mauer, verschmolz mit den nächtlichen Schatten des wolkenverhangenen Himmels und lauschte. Dumpfe Stimmen drangen an seine Ohren, die Worte waren nicht zu verstehen im lauten Gesang der Nachtvögel und dem Summen der Insekten. In der Ferne rollte der Donner eines heraufziehenden Gewitters. Er musste in das heilige Innere des Tempels auf dem Plateau der Hauptpyramide hinein, wollte er verstehen, worüber gesprochen wurde.
    Leise tat er ein paar Schritte zurück an den Rand des Plateaus und sah hinab zu den Wachen am Fuße der östlichen Repräsentationstreppe, mehr als vierzig Schritte unter ihm. Im wild flackernden Lichtschein der Fackeln auf der untersten Pyramidenstufe standen sie bewegungslos auf ihre Speerschleudern gestützt und blickten über den Tempelkomplex des Platzes der Sieben Inschriften hinweg. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein hübsches Gesicht mit der hohen Stirn, den mandelförmigen, dunklen Augen und der kräftigen Nase. Sie würden ihn nicht entdecken können, solange er über ihnen im Schatten blieb – ihre Augen waren durch das Licht der Fackeln geblendet.
    Er war an der nordwestlichen Kante der Pyramide aufgestiegen, mithilfe einer Klettermatte, deren kautschukgetränkte Unterseite ein Abrutschen auf den schrägen Flanken der einzelnen Pyramidenstufen verhindert hatte. Auf jeder Stufe hatte er die Klettermatte wieder eingeholt und auf die nächsthöher gelegene Flanke geworfen. An der Oberseite der Matte waren flache Tritte eingeflochten, über die er geschwind hinaufzuklettern vermochte.
    Jaguarundi schlich zurück zum hohen Portal des Tempels, von dem herab ihn das Gesicht des K’inich Ajaw , des Sonnengottes, in Form einer kolossalen Stuckmaske ansah. Jaguarundi verneigte sich innerlich vor seinem Lieblings-Gott, der sich seitlich auf in die Wände skulptierte Weltenbäume stützte und den Eingang zum Tempel bewachte. Der Weg hinein führte durch den geöffneten Mund der Skulptur in einen kurzen Gewölbegang, der von zwei Fackeln beleuchtet wurde.
    Der junge Krieger zögerte kurz, sah sich ein letztes Mal auf dem Plateau um und huschte in den Gang. Sogleich fühlte er die angenehme Kühle des Tempels nach der feuchten Schwüle der Nachtluft. Den Rücken dicht an eine Wand gepresst, schlich er auf Zehenspitzen unter den Stützbalken aus Campeche-Holz zum hinteren Ende des Ganges. Das Flackern des blauen Lichts war viel heller und auch die Stimmen waren lauter geworden. Er befand sich jetzt in einem der größten Heiligtümer von Tikal. Nur der Herrscher, die höchsten Priester und ausgewählte Krieger hatten hier Zutritt. Würde er entdeckt – sein Tod wäre ihm gewiss.
    Er hatte keine Zeit, die farbenfrohen, kunstvollen Figuren und mystischen Unterweltwesen an den Wänden des Gewölbeganges zu bewundern, welche die Wurzeln des Weltenbaumes bevölkerten. Er bemerkte im Unterbewusstsein, dass er sich, entsprechend der Mythologie der Maya, aus dem Himmelsreich des Sonnengottes durch diesen Gang in Ost-West Richtung entfernte und der Unterwelt näherte.
    Eine laute, neue Stimme war zu hören und hatte alle anderen verstummen lassen. Jaguarundi spähte vorsichtig am Rand des Vorhanges vorbei, der das hintere Ende des Ganges schmückte. Er sah einen kleinen Innenhof, auf dessen Mitte ein weiterer Tempel stand, der diesmal von einem spitzen Strohdach gekrönt war. Der Eingang des Tempels befand sich nur fünf Schritte vom Ende des Gewölbeganges entfernt, genau gegenüber, nur von einem dichten Vorhang verschlossen. Der junge Krieger hielt überrascht inne. Woher kam das helle blaue Licht?
    Langsam tat er einen Schritt aus der Gangöffnung heraus auf den Innenhof des kleinen Tempels. Zu seiner Rechten sah er die Quelle des Lichts: An der Außenmauer des Durchgangs befand sich in Kopfhöhe eine runde in hellem Blau leuchtende Scheibe. In ihrem Mittelpunkt befand sich hinter einem leuchtenden Schild ein kleines, goldenes Opfermesser, mit den typischen
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