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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe
Autoren: Lucy Clarke
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Gebäude, eine Waffe –, in dem verzweifelten Wunsch, den bitteren Geschmack der Resignation zu tilgen, der Hoffnungslosigkeit, die in den Ohren rauschte, zu entkommen? Mia hatte es getan. Sie hatte sich das köstliche Nichts vorgestellt, in dem die brennende, drängende Schuld sich auflöste und der Schmerz ein Ende nahm. Ein Ende. Langsam ging sie auf ihn zu …
    Â»Nicht!«
    Sie blieb reglos stehen. Sie war bis auf drei Meter an ihn herangekommen, nahe genug, um die blutige Blume zu sehen, die auf dem Rücken seines T-Shirts wuchs.
    Â»Geh weg«, befahl er, rührte sich aber nicht. Sie verstand seine Schuldgefühle; hatte sie immer schon verstanden. Schuld war ein Teil dessen, was sie aneinanderband. Mia hatte all diejenigen verlassen, die sie liebte – ihre Mutter an ihrem Krankenbett, Katie in ihrem gemeinsamen Zuhause, selbst Finn –, weil es einfacher war, wegzugehen, als auszuhalten, dass diese Menschen ihr in die Augen, in ihre Angst sahen. Aber bei Noah würde sie anders handeln. »Ich lass dich nicht allein.«
    Â»Ich will dich hier nicht.«
    Â»Warum bist du heute Abend an den Strand gekommen?«, fragte Mia.
    Â»Was?«
    Â»Du hast gesagt, du wolltest weg aus Bali, und doch bist du geblieben. Wieso?«
    Seine Finger verkrampften sich. »Ich … ich konnte nicht.«
    Â»Wegen Jez?«
    Â»Ja«, gab Noah zu. »Und wegen dir.«
    Â»Das war mir ernst. Ich liebe dich.«
    Er senkte den Kopf. »Das spielt keine Rolle …«
    Mia setzte zum Protest an, doch dann merkte sie, dass Noah weitersprach.
    Â»Er ist meinetwegen ertrunken. Ich hätte ihn nicht in die Wellen lassen dürfen … Er war noch nicht so weit.«
    Johnny.
    Â»Sie waren viel zu groß … Ich hab es nicht mal mitgekriegt, als sie ihn umrissen.«
    Â»Noah, du hast versucht, ihn zu retten.«
    Â»Ich hab es nicht hart genug versucht.« Seine Schultern zuckten. Weinte er? »Als ich endlich bei ihm war, trieb er mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser. Tot. Ich bin mit meinem toten Bruder im Arm zurückgeschwommen.«
    Â»Das war nicht deine Schuld.«
    Er schien sie nicht zu hören. »Jez hat völlig recht. Und ich hab ihn geschlagen. Ich wollte ihn umbringen«, sagte er, und seine Stimme brach. »Ich bin wie mein Vater …«
    Â»Du bist ein guter Mensch, Noah«, sagte sie eindringlich, denn sie glaubte es und wollte, dass auch er es glaubte. »Du bist nicht wie dein Vater.« Und auch ich bin nicht wie mein Vater . Endlich sah sie es; nicht Harleys belastendes Erbe bestimmte über ihr Leben, sondern sie selbst, durch ihr Verhalten.
    Â»Ich kann so nicht weiterleben …«
    Der verzweifelte Klang seiner Stimme machte ihr Angst. Sie atmete heftig. Die Konturen ihrer Gedanken waren unscharf, der Wodka tat immer noch seine Wirkung. Und es war so wichtig, dass sie klare Gedanken fasste – und die richtigen Worte fand.
    Â»Johnnys Tod war tragisch – es war ein tragischer, entsetzlicher Unfall. Aber glaubst du, dass er das hier gewollt hätte?«
    Sie wartete. Noah gab keine Antwort.
    Â»Was würde er wohl sagen, wenn er dich so sehen könnte?«
    Noah fasste sich an den Kopf. Mia sah die Tätowierung, die sie einst so schön gefunden hatte. Nun aber schien es ihr, als ob die schwarze Tinte durch die Haut in seine Adern sickerte und ihn nach und nach vergiftete.
    Â»Wenn er dir ähnlich ist, würde er dir sagen: Geh da weg.«
    Â»Das spielt keine Rolle. Er ist tot.«
    Bitterer Magensaft stieg ihr in die Kehle. Bloß keine Übelkeit. Sie musste sich konzentrieren, Noah vom Rand der Klippe weglocken. »Was ist mit Jez?«, sagte sie und zwang sich zu einem ruhigen Tonfall. »Wenn du das tust, ist er ganz allein.«
    Â»Wäre besser für ihn.«
    Â»Er liebt dich.«
    Â»Nein.«
    Â»Ich hab es doch gesehen. Er ist dir in die Wellen gefolgt, Noah, dir. Er war außer sich vor Angst, dass er dich verlieren könnte.« Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Seine letzte Erinnerung wird sein, dass er dich geschlagen und dir die Schuld für Johnnys Tod gegeben hat. Und all das, was du jetzt empfindest, würde auf ihn übergehen. Du würdest nicht nur dir das Leben nehmen, sondern auch ihm.«
    Sie sah mit Entsetzen, dass Noah noch etwas weiter nach vorn ging. Seine Füße befanden sich direkt am Rand der Klippe. Er hatte
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