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0909 - Drachentod

0909 - Drachentod

Titel: 0909 - Drachentod
Autoren: Andreas Balzer
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Erzählt niemandem von mir. Es ist gefährlich , hatte Chin-Li ihren Eltern eingeschärft. Woher wusste diese Fremde von ihr?
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Tang Chau-Sang zögerlich. »Bitte gehen Sie weg!«
    »Ich flehe Sie an, öffnen Sie die Tür! Ich habe eine dringende Botschaft für Ihre Tochter.«
    Der Fischer rang mit sich. Gefährdete er seine Tochter, wenn er die Tür öffnete oder wenn er es nicht tat? Schließlich traf er eine Entscheidung. Immerhin wusste die nächtliche Besucherin bereits von Chin-Li. Also konnte er sie wenigstens anhören.
    Im warmen tropischen Regen stand eine junge Chinesin und lächelte ihn an. In ihrem schönen Gesicht war nichts von der Panik zu sehen, die ihn eben noch dazu bewogen hatte, die Tür zu öffnen.
    »Reden Sie«, sagte der alte Mann misstrauisch. »Welche Botschaft haben Sie für Chin-Li?«
    »Diese hier«, sagte die Frau - und verwandelte sich in eine reißende Bestie. In atemberaubender Geschwindigkeit verformte sich der Schädel zu einem mächtigen Tigerkopf. Das elegante Kleid zerriss, als die Muskeln anschwollen und sich die Knochen neu formierten. Überall auf dem Körper wuchs dichtes gelbschwarzes Fell. Die Kreatur riss ihr schreckliches Raubtiergebiss auf und brüllte ihn an.
    Entsetzt fuhr Tang Chau-Sang zurück. Er wollte die Tür zuschlagen, doch die Tigerfrau hieb mit der rechten Pranke dagegen und riss sie fast aus den Angeln. Der alte Fischer warf sich herum und hechtete durch die Zwischentür zurück ins Wohnzimmer.
    »Tso-Yin! Lauf weg, schnell!«
    Seine Frau starrte ihn fassungslos an. Dann sah sie die Tigerfrau und erbleichte.
    »Lauf!«
    Der verzweifelte Schrei riss die alte Frau aus ihrer Erstarrung. Sie wirbelte herum und rannte zur Hintertür. Tang hastete ihr hinterher. In seinem Nacken spürte er den heißen Atem der albtraumhaften Kreatur.
    Endlich hatten sie die Tür erreicht. Tso-Yin riss sie auf - und prallte zurück. Eine zweite Tigerfrau stand im Rahmen und grinste sie an.
    »Überraschung«, höhnte die bizarre Kreatur und stürzte sich auf sie.
    »Tso-Yin!«, schrie Tang. Die Angst um seine Frau ließ den alten Mann über sich hinauswachsen. Er packte das dichte Fell der Bestie und wollte sie von seiner Frau herunter zerren. Doch da war immer noch die Tigerfrau hinter ihm.
    Ein gewaltiger Schlag traf Tang Chau-Sang im Rücken und schleuderte ihn zu Boden. Er hörte, wie seine Frau nach ihm rief.
    »Ich bin bei dir!« Stöhnend rollte er sich auf den Rücken. Eine der Tigerfrauen beugte sich über ihn. Schaumiger Geifer tropfte aus ihrem Maul auf sein Gesicht.
    Er dachte an Chin-Li. Was wollten diese Bestien von ihr? Pass auf dich auf, Tochter. Das Letzte, was er sah, war ein weit aufgerissenes Gebiss mit gewaltigen Fangzähnen.
    Dann wurde um ihn herum alles schwarz.
    ***
    Hongkong, Hafen, zwei Tage zuvor
    Der abgetakelte Ausflugsdampfer lag an einem der etwas abgelegeneren Kais, fernab der riesigen Containerterminals, wo rund um die Uhr Güter aus aller Herren Länder umgeschlagen wurden. Doch auch hier herrschte nach Einbruch der Dunkelheit reger Verkehr. Alle paar Minuten fuhren Luxuslimousinen mit abgedunkelten Scheiben vor und entließen gut gekleidete Männer und Frauen in bester Amüsierlaune vor dem von einem Muskelprotz im Anzug bewachten Steg.
    Selbst wenn einem unbeteiligten Beobachter aufgefallen wäre, dass die illustre Besucherschar so gar nicht zu dem schmuddeligen Ambiente passte, und selbst wenn er sich dann vielleicht sogar entschieden hätte, diese verdächtigen Vorgänge der Polizei zu melden, wäre es völlig vergeblich gewesen. Denn die Ordnungshüter wussten nur zu gut, was hier vonstatten ging. Und sie waren fest entschlossen, diese Erkenntnisse komplett zu ignorieren.
    Denn auch Polizisten hatten Familien. So diensteifrig konnten sie gar nicht sein, dass sie für einen mehr als unsicheren Erfolg das Leben derer gefährdet hätten, die ihnen nahe standen. Es war keineswegs so, dass die Hong Kong Police den Kampf gegen das Verbrechen nicht ernst nahm, aber es war jedem klar, wo die Grenzen lagen: dort, wo vitale Interessen der Neun Drachen bedroht waren. Denn die Bruderschaft war nicht gerade für Nachsicht bekannt, wenn es darum ging, ihr Revier zu verteidigen.
    Die Öffentlichkeit wusste nur wenig über diesen mysteriösen Geheimbund. Tatsächlich hielten viele Bewohner Hongkongs ihn nur für einen äußerst hartnäckigen modernen Mythos. Schließlich befand man sich am Anfang des 21.
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