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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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Geheimversteck im Museum verzogen. Hauptsächlich, weil er es hasste, das kalte Essen aus dem Kühlschrank zu holen, das seine Mutter ihm dort bereitstellte. Besonders, wenn es sich dabei um Käsebrote handelte. Kalte Käsebrote waren das finsterste Grauen auf Erden.
    Noch schrecklicher allerdings war es, wenn seine Mutter ihm einfach einen Zehneuroschein auf den Küchentisch legte. Beim Anblick des handgeschriebenen Zettels daneben verging Rufus regelmäßig der Appetit. Kauf dir heute bitte selbst was zu essen, mein Schatz. Immer wenn er den blöden Geldschein auf dem Tisch liegen sah, wusste er, dass er ihn nur deswegen bekam, weil seine Mutter nicht zu Hause, sondern in irgendwelchen Büros bei irgendwelchen wichtigen Besprechungen war. Und darauf war sie auch noch stolz. Weil das Geld, das sie damit verdiente, angeblich ihrem und Rufus’ gemeinsamen Leben zugutekam. Nur, dass es dieses gemeinsame Leben gar nicht gab.
    Alles in allem hatte Rufus jetzt seit mehreren Jahren keine richtige Familie mehr. Sein Vater lebte wusste der Teufel wo mit einer Unbekannten, und seine Mutter verbrachte den Großteil ihrer Zeit bei ihrem tollen Job in ihrem tollen Büro, von dem aus sie über das Stadtschloss und den Fluss blickte. Für ihn blieben der Zehneuroschein und jeden zweiten Tag kalte Käsebrote.
    Eine Weile hatte er gehofft, sein Leben würde sich irgendwie von selbst wieder einrenken. Doch das geschah leider nicht. Wie immer, wenn er sich schlecht fühlte, hatte er sich in diesen Tagen an seinen Schreibtisch gesetzt und angefangen zu zeichnen. Zeichnen war immer noch das, was ihn am glücklichsten machte. Mit festen Strichen warf er seine Mutter aufs Papier, wie er sie von früher vor sich sah: mit ihren langen roten Locken, die wild um ihre Schultern fielen und zwischen denen sie spitzbübisch hervorlinste und verrücktes Zeug erzählte. Das hatte sie früher oft getan. Verrückte Geschichten erzählt, Rufus dabei umarmt, gelacht und ihm plötzlich einen Kuss auf die Wange gedrückt, dass es nur so knallte. Rufus liebte verrückte Geschichten. Und er liebte sie besonders, wenn seine Mutter sie mit ihrer leisen, geheimnisvollen Stimme erzählte.
    Doch aus irgendwelchen Gründen schaffte er es selbst beim Zeichnen nicht mehr, sich an die leise Stimme seiner Mutter zu erinnern. Frustriert war er aufgestanden und auf der Suche nach etwas Essbarem in die Küche gegangen. Er hatte den Kühlschrank geöffnet und dann war sein Blick auf den Teller mit den Käsebroten gefallen. In diesem Moment hatte Rufus die Wut gepackt.
    Am liebsten hätte er die Brote genommen und sie an die Wand geklatscht. Gerade noch rechtzeitig war ihm eingefallen, wie seine Mutter am Abend ausflippen würde, wenn er das tat, und Rufus hatte es sich eben noch verkniffen. Stattdessen war er aus der Wohnung gerannt und quer durch die Stadt gelaufen, auf der Suche nach irgendwas, das er tun konnte, um sich abzulenken. So hatte er plötzlich vor dem Völkerkundemuseum gestanden.
     
    Rufus kannte das riesige Gebäude, weil er hier früher manchmal zusammen mit seinen Eltern gewesen war. In diesem Augenblick hatte er sich daran erinnert, wie glücklich seine Mutter damals ausgesehen hatte, wenn sie an der Hand seines Vaters mit ihrem leuchtend roten Haar durch die dunklen Säle gegangen war und sie das Licht der Strahler traf, die von der Decke auf die Ausstellungsstücke gerichtet waren. Dabei war ihr Schatten auf die seltsam geformten Segel aus Pandanussblättern gefallen, die an den Masten des Segelbootes der Südseeindianer hingen. Von dort war der Schatten über geflochtene Buschgeistmasken und Tanzschilde gewandert, bis er zwischen den Zinken einer hölzernen Kannibalengabel verharrte.
    Mit diesem Bild im Kopf hatte Rufus das Museum betreten. Und mit dreizehn Jahren bekam man dort auch noch freien Eintritt.
    Die halbdunklen, kühlen und hohen Räume, in denen hinter jeder Ecke etwas Neues auf einen wartete, hatten ihn schon nach wenigen Schritten in ihren Bann gezogen. Hier war es viel besser als alleine zu Hause vor einem kalten Käsebrot. Und seine Mutter kümmerte sich sowieso nicht um ihn, also konnte er doch eigentlich tun, was er wollte!
    Von nun an war Rufus fast jeden Tag ins Museum gegangen. Zunächst war er erst nach dem Unterricht in sein neues Versteck gezogen. Doch dann hatte er sich immer öfter schon in der Frühe auf den Weg gemacht, sobald seine Mutter zur Arbeit gegangen war. Denn auch die Schule machte ihm schon längst keinen
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