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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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großen Spaß mehr.
     
    Im Museum hatte er sich auf eine der Bänke in den dunklen Sälen gesetzt und begonnen, die Ausstellungsstücke zu zeichnen. Das war genial. Fast alles, was er hier sah, gefiel Rufus: fein geschnitzte und bunt bemalte Vogelmasken, tanzende Kriegerfiguren mit grimmigen Gesichtern und Schwertern in den erhobenen Händen, Schmuckstücke aus goldenen Spinnen. Der Anblick dieser Dinge hatte Rufus überwältigt. Er hatte Brustschmuckplatten betrachtet und gezeichnet, die den seltsamen Namen Pektorale trugen, riesige Federmäntel aus Tausenden von bunten Vogelfedern, unheimliche Schattenspielfiguren und klobige Steinmasken. Mit jedem Strich in sein Skizzenbuch hatte Rufus die Dinge genauer gesehen. Ja, wenn er sie eine Weile studiert hatte, konnte er sie sogar aus dem Gedächtnis zeichnen. Jedes Detail war ihm interessant erschienen. An manchen Zeichnungen hatte er sich zigmal versucht, bis sie so genau waren, dass man nach ihnen das Original hätte herstellen können.
    Leider konnte man im Museum nicht jedes Stück von allen Seiten gleich gut betrachten. So hatte sich Rufus öfter mit schief gelegtem Kopf den Ausstellungsstücken bis auf wenige Zentimeter genähert, wenn er etwas ganz genau sehen wollte. Und dabei war es passiert.
    Rufus hatte gerade eine mit Perlen besetzte Tabakspfeife studiert und versucht, die Züge eines Gesichts zu erkennen, das zwischen den Perlen in den Pfeifenkopf geschnitzt war, als er Alarm auslöste. Das laute Jaulen war wie eine Schiffssirene durch den Saal gehallt, und Rufus hatte kaum den Kopf zurückziehen können, als auch schon eine junge Museumswärterin in blauer Uniform angeschossen kam und ihn wütend am T-Shirt packte.
    »Du lungerst hier schon den ganzen Vormittag rum. Habe ich mir doch gleich gedacht, dass du deine Finger nicht bei dir behalten kannst. Aber das Berühren der Gegenstände ist verboten! Oder hast du vielleicht sogar versucht, etwas zu stehlen?«
    Die Wärterin hatte Rufus streng gemustert, als habe er bereits das halbe Museum eingesteckt. Dann hatte sie ohne Vorwarnung einfach in seine Hosentasche gefasst. »Los, Taschenkontrolle!«
    »He!«, Rufus hatte sich wie wild gewunden. »Lassen Sie das! Ich habe nur gezeichnet.«
    Doch die Wärterin hatte den Kopf geschüttelt. »Du hast hier gar nichts zu sagen. Noch ein Wort und du bekommst Hausverbot.« Sie hatte Rufus umgedreht und ihm auch in die andere Hosentasche gefasst. »Warum bist du überhaupt hier und nicht in der Schule?«
    In diesem Moment hatte es Rufus mit der Angst zu tun bekommen. Wenn die Frau ihn festhielt und am Ende noch seine Mutter anrief, konnte es mächtigen Ärger geben. Mit einem Ruck hatte er sich losgerissen und war unter dem ausgestreckten Arm der Wärterin hindurch davongerannt.
    Aber Rufus hatte es nicht geschafft, sie abzuschütteln. Wo er auch langgelaufen war, immer waren die trommelnden Schritte der Wärterin hinter ihm geblieben.
    Schließlich war er über eine Rampe in den nächsten Museumstrakt gerannt. Und dort hatte Rufus mitten in einer großen Halle eine Holzhütte entdeckt. »Männerhaus« stand auf einem Schild daneben. Ohne weiter nachzudenken, war Rufus in die Hütte geschlüpft. Ein alter Wärter, den Rufus schon einige Male gesehen hatte, und der immer mit gemächlichen Schritten durch das Museum ging, hatte ihm zugenickt.
    Dann war die keuchende Wärterin herbeigelaufen gekommen.
    »Haben sie einen etwa zwölfjährigen Jungen gesehen? Er hat den Alarm ausgelöst!«
    Der alte Wärter war stehen geblieben. »Der, der immer zeichnet?«
    »Tut er das?«, japste die Frau ungeduldig.
    »Ja, das tut er. Er ist wahrscheinlich nur zu nah an ein Exponat herangekommen, keine Sorge.«
    Die Wärterin hatte geschnaubt. »Kann sein, aber er hat sich losgerissen und ist weggelaufen. Ich will ihm Hausverbot erteilen.«
    »Hausverbot.« Der alte Mann hatte den Kopf geschüttelt. »Jeden Tag lösen zwanzig Besucher aus Versehen den Alarm aus. Das ist doch kein Grund für ein Hausverbot. Sagen sie ihm, er soll das nächste Mal nicht so nah rangehen und fertig.«
    Die Wärterin hatte tief Luft geholt.
    »Hier ist er also nicht? Vielleicht hat er sich ja in der Hütte versteckt.«
    Rufus, der angespannt gelauscht und vorsichtig durch eines der Fenster gespäht hatte, hatte gesehen, wie die Frau sich in Bewegung setzte. »Halt!«, hatte ihr in diesem Moment der Wärter streng zugerufen. »Das ist eine indianische Männerhütte, in die ausschließlich die Männer des
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