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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach
Autoren: P Besson
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    Heute früh geht es mir etwas besser als an den Tagen zuvor: Heute Nacht habe ich von ihm geträumt. Von Jack Bell. Dem Idioten von Jack Bell. Ich bin mit der Erinnerung an sein Gesicht aufgewacht. Das war unglaublich sanft.
     
    In meinem Traum lächelte Jack. Obwohl er eher verschlossen war. Ich habe kurz die Zeit auf der Flüssigkristallanzeige des Radios abgelesen und mechanisch auf den Einschaltknopf gedrückt. Und schon hörte ich die martialische Stimme von George Bush, der sich einmal mehr dazu beglückwünschte, die Truppen Saddam Husseins in sechs Wochen vernichtet zu haben. Jacks Lächeln hat sich verflüchtigt.
     
    Und dann sagte die Moderatorin, ehe sie die Werbung startete, mit der gelangweilten Stimme einer Stewardess: »Sie hören Sky One, heute ist der siebzehnte Juni 1991, es ist acht Uhr fünfzehn, die Temperatur beträgt 19   Grad, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag.« Ich habe gedacht: Das ist ein Jahrestag. Vor genau einem Jahr lernte ich Jack kennen. Man könnte meinen, unsere Träume verdanken sich nicht dem Zufall.
     
    Durch das Fenster des Zimmers habe ich das leichte Junigrau beobachtet. In dieser von Helligkeit erschlagenenStadt, wo der Himmel ständig von der Seeluft des Pazifik klargespült wird, sind die Morgenstunden um diese Jahreszeit merkwürdig nebelverhangen. Ich habe mich immer gefragt, warum, aber ich habe die Frage nie jemandem gestellt. Zweifellos ein banales meteorologisches Phänomen. Ich bin nicht so neugierig. Und ich würde das Wetter auch nicht ändern können.
     
    Idiot von Jack Bell.
     
    Ehrlich, als ich ihm das erste Mal begegnet bin, habe ich nicht geahnt, dass er mein Leben aus den Angeln heben würde. Und doch, wenn ich den Film noch einmal vor mir ablaufen lasse, sage ich mir, dass es einem in die Augen sprang: Dieser Typ führte Katastrophen im Schlepptau mit sich. Klar, auf den ersten Blick sah man nur diese Engelsvisage, das Auftreten eines Tunichtguts. Und dann seine Jugend, die bereits einem kaputten Spielzeug glich.
     
    Ich wusste, wer er war. Alle wussten es. Man brauchte nur einmal in seinem Hundeleben eine Illustrierte aufgeschlagen zu haben. Die Journalisten erklärten in jeder Spalte, er sei durch die Hölle gegangen, und der Bursche wiederholte es selbst in jedem Interview. Wie hätte ich ahnen sollen, dass er mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes zur Hölle zurückkehren würde? Oder vielmehr: Wie hätte ich ahnen sollen, dass er mich dorthin mitziehen würde?
     
    Ich war nur ein unbeschriebenes Blatt. Nur ein Bulle, der seine Arbeit korrekt machte. Ich hatte diesen Job nicht aus Berufung gewählt, man soll nichts übertreiben. Aberwenn man schon einen solchen Job macht, dann wenigstens gewissenhaft. Ich war in den vornehmen Wohnvierteln eingesetzt worden, auf den Höhen der Stadt. Beverly Hills bringt viele Menschen zum Träumen. Mich hat die Glitzerwelt nie wirklich interessiert, aber ich habe die schillernde Umgebung den ärmlichen Stadtrandgebieten vorgezogen, in denen sich die Jungs jede Nacht herumprügeln. Unter den Palmen und auf den geraden, von Gärtnern gepflegten Avenuen riskiert man seine Haut weniger als in den Elendsvierteln voller Spritzen und Revolvermündungen. Ich habe nicht das Zeug zu einem Helden, ich habe niemals zu beweisen versucht, dass ich ein knallharter Bursche bin. Die Gangsterbanden überlasse ich denen, die sich daran aufgeilen.
     
    Kurzum, ich führte ein ruhiges Leben. Erst als ich dreißig war, schlug der Blitz bei mir ein. Angesichts dessen, was darauf folgte, könnte man denken, ich würde dieser Ruhe, dieser Windstille vor dem Sturm nachtrauern. Das wäre ein Irrtum. Gewiss, ich war nicht auf die Turbulenzen vorbereitet, aber heute würde ich mich auf die Knie werfen und darum flehen, erneut vom Blitz getroffen zu werden.

 
    Stellen Sie sich das Ende des Wilden Westens vor, die Kapitulation der Wüste, eine ungezähmte Natur, die am Fuß von Beton, Backstein und Glas scheitert und stirbt.
    Stellen Sie sich ein Geflecht von Highways vor, ähnlich Fangarmen, die eine Metropole umzingeln und durchstoßen und sich zu Autobahnen und Boulevards verengen. Adern, die ein krankes Herz versorgen.
    Stellen Sie sich eine unendliche Ausdehnung vor, mehr als fünfzig Meilen, ohne Zentrum und, außer in Downtown, mit wenigen Wolkenkratzern. Holzhäuser, grüne oder gelb verfärbte Anlagen, Wohnblocks, eine Stadt in der Horizontale, das genaue Gegenteil von New York City.
    Stellen Sie sich
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