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Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Titel: Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
Autoren: Gabriele Keiser
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Prolog
    April 1997
     
    »Du bist ein böses Mädchen«, raunte eine Stimme, die das Kind aus seinen Träumen aufschreckte. Es riss die Augen auf und lauschte in die Dunkelheit. Die Worte schwebten im Raum und hinterließen ein Echo, das sich beharrlich einen Weg vom Inneren des Kopfes bis tief ins Herz hinein bahnte.
    Das Mädchen blieb starr auf dem Rücken liegen, bewegte nur die Augäpfel hin und her. Im Zimmer war grauschwarze Nacht. Fremde Schatten tanzten im fahlen Widerschein des Mondlichtes, das durch das einen Spalt breit geöffnete Fenster hereindrang. Weder Gardinen noch eine Jalousie schlossen die Eindrücke von draußen aus.
    Einen Moment lang wusste das Mädchen nicht, ob die dunkle, raunende Stimme zu seinem Traum gehörte oder ob sie aus dem Zimmer nebenan kam. Das einzige Geräusch, das es vernahm, war das laute Klopfen seines Herzens. Dann hörte es ein schnelles Trippeln von kleinen Füßen über sich, ein Knispern und Raspeln, ein kratziges Schlurfen und Schaben, das an- und abschwoll. Dort oben die kleinen Geister waren wieder wach und veranstalteten ein Wettrennen. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Gartenschläfer konnten nicht sprechen. Sie konnten keckern und muckern und zwischen Decken und Wänden hin- und herflitzen. Sie konnten sogar ziemlich laut pfeifen, aber sprechen konnten sie nicht.
    Erleichtert drehte es sich auf die Seite, um weiterzuschlafen.
    »Du weißt ja, dass man bösen Mädchen ordentlich den Hintern versohlen muss.«
    Da war sie wieder, diese fremde, tiefe Stimme, und jetzt konnte das Kind deutlich die Richtung bestimmen, aus der die Worte kamen: Im Zimmer nebenan sprach jemand. In Mamas Schlafzimmer.
    Das Mädchen schluckte hart. Sein Herz verwandelte sich augenblicklich in einen Presslufthammer, der ratternd gegen seine Brust schlug. Gedämpft antwortete eine hellere Stimme drüben im anderen Zimmer. Obwohl das Mädchen sich anstrengte, konnte es nicht verstehen, was gesagt wurde. Zu laut waren das Herzklopfen und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Das leise Frauenlachen, die dunkle, fremde Männerstimme und das Geräusch der trippelnden Gartenschläfer über ihm verwoben sich zu einem Klangteppich, den es nie mehr vergessen sollte.
    Vorsichtig schob es seine Hand unter der Bettdecke hervor. Die Finger griffen ins Leere. Für den Bruchteil einer Sekunde setzte sein Herz mit dem Schlagen aus.
    Belli, wo bist du?
    Es tastete suchend weiter bis nah an die Wand. Gott sei Dank, da war er! Die Fingerchen des Mädchens krallten sich fest in den Plüsch. Es zog den Stoffhund, dem ein Glasauge fehlte, zu sich heran. Steckte die Nase in das weiche Fell und atmete tief ein. Das Mädchen liebte diesen Geruch nach Geborgenheit, nach Märchen und geheimen Träumen. Und ein klein wenig roch Belli noch nach Mamas Parfüm, mit dem es den Stoffhund vor Tagen eingesprüht hatte. Obwohl Mama jedes Mal mit ihm schimpfte, weil das Parfüm so teuer war. Der schwache Duft legte sich wie ein Gazeschleier über den süßlichen Rauch, der jetzt zusammen mit einem zweistimmigen Lachen durch die Türritzen quoll und die Form eines hässlichen Dämons annahm. Das Ungetüm tanzte um sein Bett herum und schien das Mädchen auszulachen.
    Belli fest an sich gepresst, zog es die Bettdecke über den Kopf. Es wünschte sich, dass der hässliche Geist zurückfliegen möge in das Nebenzimmer. Es mochte keine tanzenden Dämonen. Es mochte überhaupt keine Dämonen.
    Nach einer Weile schlug es die Decke wieder zurück, weil es glaubte, darunter ersticken zu müssen.
    »Diese Viecher da oben sind ganz schön laut«, raunte die fremde Stimme im Zimmer nebenan.
    »Es ist Paarungszeit«, antwortete Mama. »Bald wird der Lärm noch größer sein.«
    »Und warum legt ihr kein Gift aus?«
    »Weil man das nicht darf. Gartenschläfer stehen unter Naturschutz.«
    »Das wäre mir herzlich egal. Aber gut, mich geht es ja nichts an.«
    Die Stimmen verebbten, gingen über in ein leises Stöhnen. Etwas knarrte, etwas wurde geschoben. Dann klirrte etwas wie Glas, das auf die Erde fiel und zerbrach.
    Jedes Mal, wenn das Mädchen solche Geräusche aus Mamas Schlafzimmer hörte, dachte es an zerspringendes Glück und an schlimme Schmerzen. Wenn es dann am Morgen danach Mamas Gesicht mit den Augen nach verräterischen Spuren abtastete, waren jedoch keine Kratzer oder blauen Flecken zu sehen. Wie immer stand sie in ihrem roten Kimono mit den bestickten Rändern am Herd, um Honigmilch zu wärmen. Sie summte ein Lied, ihre
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