Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
Vom Netzwerk:
dass es sich um einen Zufall handeln müsse, aber nach drei Sälen, in denen seine Mutter Direktor Saurini begeistert dabei zuhörte, wie dieser erzählte, dass die Akademie mehrere Firmenchefs und berühmte Politiker hervorgebracht hatte, war sich Rufus sicher, dass dies alles nicht zufällig sein kann. Und das war wirklich verrückt!
    Anders als im Museum lagen in den Vitrinen der Akademie keine wirklichen Ausstellungsstücke. Genauer gesagt war nicht eines der Artefakte noch vollständig oder ganz. Es gab einfach keine verzierte Vase, keine geschnitzte Maske, keinen kunstvoll geflochtenen Korb, federbesetzten Umhang oder goldenen Schmuck, der in voller Pracht auf den schimmernden Samtbetten lag, mit denen sämtliche Vitrinen ausgeschlagen waren.
    Stattdessen waren immer und überall nur Bruchstücke zu sehen. Bruchstücke, bei denen, obwohl sie alle sehr gepflegt wirkten, zum großen Teil nicht einmal auszumachen war, wovon sie möglicherweise stammten.
    So etwas hatte Rufus noch nie zuvor gesehen. Scherben, Fetzen, große und kleine Reste von zerbrochenen, zerfallenen, zerrissenen und zerstörten Dingen.
    Rufus hätte Direktor Saurini gerne nach dem Grund dafür gefragt, aber der Direktor unterhielt sich so lebhaft mit seiner Mutter, dass er sie nicht stören wollte.
    Verständnislos sah sich Rufus diese unglaubliche Sammlung an. Was war der Grund für all diese kaputten Teile? Warum sammelte man hier nur Dinge, an denen der Zahn der Zeit schon in aller Ruhe genagt hatte?
    Rufus musste plötzlich an seine Spielzeugautos denken, die er wütend mit dem Hammer zerschlagen hatte, als seine Mutter ihm gesagt hatte, dass er seinen Vater das nächste Wochenende nicht mehr besuchen konnte, weil der die Stadt verlassen hätte.
    An dem Abend hatte Rufus die Autos der Farbe nach in einer schönen Regenbogenordnung auf dem Küchenfußboden aufgestellt und den Hammer aus dem Werkzeugkasten geholt, den sein Vater dagelassen hatte. Jeder Schlag fiel mitten aufs Dach. Voller Wut, aber irgendwie sehr zufrieden, hatte Rufus zugesehen, wie die Gummiräder von den Felgen platzten, die Türen sich aus den Angeln lösten und die Karosserien platt gedrückt wurden.
    Was für eine Geschichte hatten die Teile hier in der Akademie?
    Klar, es war unwahrscheinlich, dass jede Scherbe hier das gleiche Schicksal erlitten hatte wie seine Spielzeugautos, vielleicht gab es hier einfach nur einen Scherben- und Restesammler. Aber vielleicht waren die Geschichten dieser Scherben auch genauso wichtig wie die von Rufus zertrümmerten Autos, die er immer noch unter dem Bett in seinem karierten Kinderkoffer aufbewahrte?
     
    Direktor Saurinis Büro lag oben unter dem Dach und wirkte mit seinem alten Holzfußboden und der rundum laufenden Fensterfront ein bisschen wie ein riesiger Taubenschlag, von dem aus man einen guten Überblick über die umliegende Dächerlandschaft hatte.
    Der kleine, rundliche Mann lächelte höflich und ließ sich in einen gewaltigen Ledersessel hinter einem alten Schreibtisch fallen. Dicht dahinter erhob sich ein gemauerter Kamin, in dem jedoch kein Feuer brannte.
    Gino Saurini deutete auf zwei mit glänzendem Stoff bezogene Sessel. »Möchten Sie nicht Platz nehmen?«
    Rufus setzte sich sofort. Der alte Stoff knisterte unter ihm. Neben ihm tat seine Mutter nach einem misstrauischen Blick auf ihren Sessel das Gleiche. Doch dann entspannte sie sich.
    »Ich bin sehr froh über den Brief, den wir von Ihnen bekommen haben«, begann sie.
    »Ja, den hat Ihnen meine Sekretärin geschrieben«, lächelte Gino Saurini. »Ich selbst schreibe und arbeite nämlich ausschließlich mit der Hand.« Er deutete auf einen Block feinen Büttenpapiers, der neben einem Füllfederhalter auf seinem Schreibtisch lag. »Alles Weitere übernimmt dann meine Sekretärin.«
    Rufus’ Mutter räusperte sich verlegen. »Natürlich«, sagte sie dann. »Wir sind ja hier an einem Eliteinternat!«
    Direktor Saurini nickte. »Für Hochbegabte, wohlgemerkt. Und das heißt, dass auch unsere Schüler in der Regel alles Wichtige im Kopf machen. Wir brauchen hier weitaus weniger Computer, Taschenrechner und Handys als an anderen Schulen. Genauer gesagt benutzen wir sie gar nicht. Bei uns funktioniert das Lernen noch mit Gehirn und Gedächtnis.«
    Rufus’ Mutter sah den Direktor ehrfürchtig an. »Natürlich«, murmelte sie beinahe schüchtern. »Und Sie denken, dass mein Sohn, dass mein Rufus an so einer hervorragenden Schule …«
    »… absolut richtig aufgehoben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher