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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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Frau!«, rief er. »Sie wissen das ja bestimmt. Die meisten antiken Artefakte, die wir kennen, werden bei archäologischen Ausgrabungen gefunden. Aber ab und zu stolpert man auch an der Erdoberfläche mal über Pfeilspitzen und Keramikscherben. So wie ich hier eben sozusagen über Sie und Ihren Sohn.« Er lachte, offensichtlich erfreut über seinen eigenen Scherz. »Sie ahnen gar nicht, was für Hinweise auf vergangene Kulturen man bekommen kann, wenn man diese Funde untersucht. Oder etwa doch?«
    Er warf Rufus’ Mutter einen fragenden Blick zu.
    »Äh, Pfeilspitzen und Keramikscherben …«, sagte diese langsam. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich recht verstehe?«
    Der Mann kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Aber ja, die kommen zum Beispiel beim Pflügen auf einem Feld zum Vorschein.«
    »Beim Pflügen?«, fragte Rufus’ Mutter und machte große Augen.
    Der rundliche Mann nickte. »Genau, gnädige Frau! Sie sehen mich übrigens gerade an wie Marco Polo, als er im 13. Jahrhundert in der chinesischen Provinz Toloman Schneckengeld fand. Am selben Abend noch schrieb er in sein Tagebuch, in China würden die Menschen mit denselben Porzellanschnecken für ihre Arbeit bezahlt, die man bei ihm daheim zur Verzierung von Hundehalsbändern verwandte.« Der Mann gluckste vor Vergnügen.
    Die Augen von Rufus’ Mutter wurden noch größer. Verwundert sah Rufus den Mann genauer an. Sein Gesicht wurde von einem wilden, dunklen Haarkranz umrahmt. Auf den kräftigen Wangen prangten rote Flecken, und seine braunen Augen waren von einem fröhlichen Funkeln erfüllt, wie Rufus es bei einem erwachsenen Mann noch nie gesehen hatte.
    In diesem Moment straffte Rufus’ Mutter energisch die Schultern.
    »Entschuldigen Sie, aber wir müssen jetzt zum Direktor. Wir haben einen Brief bekommen, dass mein Sohn für ein Stipendium ausgewählt wurde.«
    »Aber das ist ja wunderbar!«, rief der Mann.
    Rufus sah ihn neugierig an. »Unterrichten Sie hier?«, fragte er. »Sind Sie der Geschichtslehrer?«
    Der Mann nickte. »Sehr wohl, Geschichte, das ist allerdings mein Fach.« Er lächelte glücklich und ging voller Elan auf Rufus’ Mutter zu. Dann reichte er ihr formvollendet die Hand.
    »Sie müssen entschuldigen, wenn ich Sie nicht in meinem Büro erwartet habe, Frau Minkenbold. Gino Saurini, ich bin der Direktor. Ich war so gespannt darauf, Ihren Sohn kennenzulernen, dass ich hier unten gewartet habe. Rufus’ Aufnahme in die Akademie ist mir von seiner Klassenlehrerin dringend ans Herz gelegt worden. So sehr, dass ich selbst ein wenig aufgeregt bin.«
    Rufus verzog erschrocken das Gesicht. Das war der Schuldirektor? Und Rufus war ihm angeblich von seiner Klassenlehrerin empfohlen worden?
    Direktor Saurini lachte leise, und Rufus konnte sehen, wie seine Mutter um Fassung rang. Endlich ergriff sie die dargebotene Hand und schüttelte sie leicht. »Herr Direktor, Sie persönlich? Was für eine nette Überraschung.«
    Rufus zog die Stirn kraus. Seine Mutter schien den Direktor wirklich nicht zu kennen. Und das bedeutete ja wohl, dass der ganze Plan mit dem Internat auch nicht von ihr ausgegangen war.
    Er sah den Direktor unsicher an. Diese ganze Geschichte wurde immer rätselhafter.

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    Direktor Saurini breitete die Arme aus.
    »Gehen wir in mein Büro. Aber nehmen wir nicht die Treppe hier vorne. Da ich sehe, dass Rufus sich für die Artefakte interessiert, würde ich Ihnen beiden auf dem Weg gerne einige weitere Säle der Akademie zeigen.«
    Rufus’ Mutter lächelte erfreut. Dann fasste sie unvermittelt nach Rufus’ Hand. »Komm, Rufus. Kannst du dich noch erinnern, wie wir früher immer zusammen ins Museum gegangen sind?« Sie lächelte dem Direktor zu. »Wir haben das wirklich sehr gern getan.«
    Die Worte seiner Mutter versetzten Rufus einen Stich. Gleichzeitig nahm er ihre Hand fest in seine.
    »Ja«, sagte er leise.
    Während der kugelrunde Direktor Saurini Rufus und seiner Mutter durch den Gang unter der Treppe in einen kleinen Saal vorauseilte und sie von dort über Stufen und Durchgänge in eine Reihe weiterer Säle führte, die scheinbar gar kein Ende nehmen wollten, nahm Rufus erstaunt wahr, auf was seine Mutter achtete.
    Der frisch gebohnerte Holzboden versetzte sie ebenso in Entzücken wie die hohen Fenster mit den schweren Vorhängen.
    Rufus dagegen betrachtete fast nur die Vitrinen, die immer wieder ihren Weg kreuzten und in denen einige wirklich seltsame Ausstellungsstücke lagen.
    Zuerst dachte Rufus,
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