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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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einen erstaunten Laut aus. Die Tür war nicht nur riesig, sie wog auch mindestens doppelt oder dreifach so viel, wie er selbst, und Rufus schaffte es nur mit Mühe, sie zu bewegen. Endlich hatte er sie weit genug aufgestoßen, um den Kopf in eine gewaltige, ziemlich dunkle Halle stecken zu können. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Rufus presste den ganzen Körper gegen die Tür und drückte sie weiter auf. Dann trat er ein. Der Boden der Halle war mit granitfarbenen Steinplatten bedeckt. Weiter hinten führte eine große, geschwungene Treppe nach oben. Und schräg daneben konnte Rufus eine kleine Vitrine erkennen, in der etwas ausgestellt zu sein schien, fast wie in einem Museum.
    Das war alles. In der ganzen Halle gab es weder eine Pförtnerloge noch war ein Mensch zu sehen.
    Während seine Mutter hinter ihm eintrat und gewohnt geschäftsmäßig nach einer Hinweistafel Ausschau hielt, ging Rufus auf die Vitrine zu. Auf einem dunkelblauen Kissen lagen drei perlmuttschimmernde Scherben. Sie sahen aus wie die Überreste von Muscheln. Jede von ihnen war zerbrochen und hätte ziemlich armselig gewirkt, wenn sie nicht alle liebevoll geputzt und wie kostbare Museumsstücke ausgestellt gewesen wären. Rufus guckte sich nach einem Täfelchen oder Zettel an der Vitrine um, wie er es aus dem Museum kannte. Aber zu seiner großen Verwunderung, konnte er keinen Hinweis entdecken. Warum lagen sie dann da?
    »Rufus!« Seine Mutter stand auf dem ersten Treppenabsatz. »Direktion. Hier steht es. Komm schon, reiß dich los. Das sind doch nur Scherben. Du bist manchmal schlimmer als eine Elster. Wenn etwas glänzt, bist du sofort zur Stelle.« Sie sah die Treppe hoch. »Komisch, dass hier niemand ist. Das macht ja schon einen etwas verwahrlosten Eindruck, findest du nicht?«
    »Keine Ahnung!« Rufus runzelte die Stirn. Er hätte zu gerne noch rausgekriegt, was es mit den Muschelteilen auf sich hatte. Alle drei sahen aus, als wären sie von Menschenhand bearbeitet worden und tatsächlich glänzten sie in seinen Augen verführerisch. Im Museum hatte er einmal gelesen, dass Muscheln vor langer Zeit als Zahlungsmittel benutzt worden waren. Also konnte es sich durchaus um eine Art prähistorische Münzsammlung handeln. Genauso gut konnten es aber auch Werkzeuge sein. Schließlich hatten die Menschen, bevor sie anfingen, sich ihre Sachen selber herzustellen, einfach geeignete Gegenstände benutzt, die sich in der Natur finden ließen, und sie dann nach dem Gebrauch wieder weggeworfen.
    Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Rufus! Jetzt komm endlich. Wir sind nicht zum Spaß hier, wir haben einen Termin mit dem Direktor!«
    Unwillig wandte Rufus den Blick ab. Was machten diese Dinger bloß in der Halle eines Eliteinternats? Mit hängenden Schultern drehte er sich um, um seiner Mutter zu folgen, als hinter ihm plötzlich eine schwungvolle Stimme erscholl.
    »Willkommen in der Akademie!«
    Rufus fuhr herum. Unbemerkt war ein kleiner und ziemlich dicker Mann aus einem versteckten Gang unter der Treppe hervorgetreten. Er trug einen etwas speckig glänzenden rostbraunen Anzug und eine gepunktete Krawatte, stand dicht hinter Rufus und sah genauso interessiert auf die Muschelstücke, wie Rufus es eben selbst noch getan hatte.
    »Interessant, diese drei Artefakte, ja?«, meinte er vergnügt. »Ich frage mich seit vielen Jahren, was es mit diesen verflixten Scherben auf sich hat.«
    »Sie sehen aus wie Muscheln«, sagte Rufus, ohne zu überlegen. Dann fragte er: »Was sind Artefakte?«
    Der Mann nickte heftig. »Muscheln? Ja, Perlmutt, das denke ich auch. Aber wozu dienten sie? Was hat man damit gemacht? Sind es Schmuckstücke, Münzen, Werkzeuge? Ich finde es einfach nicht heraus. Ich weiß nicht einmal, woher sie stammen.« Er fasste sich mit einer kräftigen Hand an sein Doppelkinn. Dann fügte er plötzlich hinzu: »Artefakte sind Dinge, die durch menschliches Tun geschaffen wurden. Man sieht hier deutlich, dass die Muscheln von Hand bearbeitet worden sind. Da, die Reibestellen. Und die Löcher! Die sind ganz eindeutig gebohrt worden. Alles Ausdrücke des menschlichen Geistes, der hier am Werk war. Menschliche Erfindungsgabe und handwerkliches Geschick.« Er hob den Blick und sah Rufus an. »Das Wort Artefakt stammt aus dem Lateinischen, von ars und facere und heißt so viel wie ›eine Bearbeitung machen‹.«
    Er hielt inne und sah zu Rufus’ Mutter, die auf der Treppe stand und erstaunt zu ihnen hinuntersah.
    »Gnädige
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