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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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Stammes Zutritt haben. Das Museum hat nur deswegen die Erlaubnis, sie hier auszustellen, weil wir uns dazu verpflichtet haben, diesen Brauch beizubehalten. Sie dürfen da nicht rein. Ich gehe selbst nachgucken.«
    Der alte Mann hatte sich umgedreht und war in die Hütte gekommen. Erstaunt und etwas ängstlich hatte Rufus ihm entgegengesehen. Aber der Wärter hatte nur kurz den Kopf durch die Tür gesteckt und sich dann wieder umgedreht.
    »Hier ist keiner. Wie ich gesagt habe. Nun gehen Sie schon wieder in Ihre Säle und beruhigen Sie sich. Der Junge ist harmlos. Er zeichnet nur.«
    Und damit waren beide aus dem Saal verschwunden.
    Rufus hatte keine Ahnung, warum der alte Wärter ihn nicht verraten hatte. Aber er hatte ihn auch nie gefragt. Von nun an hatte er sich jeden Tag in die Männerhütte gesetzt und in seinem Heft aus dem Gedächtnis die Dinge nachgezeichnet, die er sich angesehen hatte, während er das Museum durchstreifte. Der einzige Mensch, den Rufus in diesen Stunden regelmäßig zu Gesicht bekommen hatte, war der alte Museumswärter gewesen. Doch der leicht gebeugte alte Mann in der ausgebeulten blauen Uniform hatte sich nicht weiter um Rufus gekümmert. Nur gelegentlich hatte er ihn mit einem stummen Nicken begrüßt und dabei nicht einmal gelächelt.
    Und so wäre es wahrscheinlich weitergegangen, wenn Rufus’ Mutter nicht den Brief bekommen hätte.
     
    Es war ein Samstagmorgen gewesen, und Rufus hatte den Brief an der Tür in Empfang genommen, weil seine Mutter sich gerade die Zähne putzte. Eliteinternat hatte im Absender gestanden, in blauer Schrift auf senfgelbem Papier. Das Wort war Rufus in die Knochen gefahren wie ein Peitschenhieb. Er hatte seine Mutter angestarrt, als sähe er eine Fremde, als sie kurz darauf aus dem Badezimmer kam.
    Sein erster Gedanke war gewesen, ob es ihr jetzt sogar zu viel war, ihm zehn Euro auf den Tisch zu legen? Dann hatte er sich gefragt, ob die Schule seiner Mutter mitgeteilt hatte, dass er in seinen Noten abgerutscht war? Aber wozu dann gleich ein Internat? Dort würden seine Leistungen bestimmt nicht besser werden.
    Rufus hatte seine Gedanken eben laut herausschreien wollen, als seine Mutter ihm den Brief wortlos aus der Hand genommen und geöffnet hatte. Während ihre Augen über die Zeilen geflogen waren, hatte Rufus bemerkt, dass sie genauso überrascht wirkte wie er selbst.
    »Rufus!«, hatte sie anschließend gerufen und dabei so hell gelächelt wie lange nicht mehr. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so gut in der Schule bist.«
    Rufus hatte unsicher die Schultern gezuckt. »Wieso gut in der Schule?«, hatte er vorsichtig gefragt.
    »Weil es hier steht!« Seine Mutter hatte den Brief geschwenkt. »Du bist wegen deiner außergewöhnlichen Leistungen für ein Stipendium an der ›Akademie für Hochbegabte‹ vorgeschlagen, einem Eliteinternat! Hochbegabt! Rufus, meine Güte! Ich wusste ja gar nicht, dass du auf ein Internat willst. Aber vielleicht ist das eine gute Idee. Ich mache mir sowieso schon Sorgen, dass ich mich zu wenig um dich kümmere.«
    Ich will überhaupt nicht auf ein Internat, hatte Rufus gedacht. Doch als sein Blick auf das Gesicht seiner Mutter gefallen und dort hängen geblieben war, hatte er es sich verkniffen, das auch laut auszusprechen.
    Ihre Augen hatten gestrahlt, und sie hatte so glücklich ausgesehen, dass Rufus sich nicht erinnern konnte, sie überhaupt je so glücklich gesehen zu haben. Deswegen hatte er in diesem Moment nichts mehr gesagt, sondern einfach geschwiegen.
    In Wirklichkeit hatte er nicht die geringste Ahnung gehabt, wieso ein Eliteinternat mit dem seltsamen Namen »Akademie für Hochbegabte« seiner Mutter einen Brief schrieb, und warum ausgerechnet er ein Stipendium für dieses Internat bekommen sollte.
    Aber Rufus wusste, er würde den Teufel tun, seiner Mutter irgendetwas zu sagen, das ihr dieses glückliche Lächeln wieder aus dem Gesicht wischte.
     
    Rufus’ Mutter stieg als Erste aus dem Auto. Rufus folgte ihr zögernd. »Sehr luxuriös sieht das aber nicht aus«, hörte er seine Mutter murmeln, während sie den Blick kritisch über das Gebäude wandern ließ.
    Er beobachtete seine Mutter genau. Sie sah wirklich nicht so aus, als würde sie diese Schule kennen. Aber vielleicht konnte sie sich auch nur verdammt gut verstellen und das alles war eben ein Trick, der ihn dazu bringen sollte, ihr zuliebe ein Eliteinternat zu besuchen …
    Rufus streckte die Hand nach der schweren Türklinke aus. Dann stieß er
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