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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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Akademie, die Zwillingsbrüder Giorgio und Paolo Micheluzzi, aus Italien übrigens, besaßen einen gewissen Hang zum Scherzen. Sie dachten sich, wenn angeblich der Leibhaftige in ihrer Akademie herrschen sollte, dann wollten sie dafür sorgen, den Mönchen ein Schnippchen zu schlagen! Und das taten sie, indem sie die Akademie ›Akademie des leibhaftigen Studiums vergangener Zeiten‹ nannten.«
    Direktor Gino Saurini lächelte versonnen.
    Dann fuhr er fort: »Die ›Hochbegabung‹ im Namen haben tatsächlich erst wir heutigen Lehrer dazugefügt. In unserer Zeit haben viele Eltern große Angst, dass aus ihren Kindern keine erfolgreichen Menschen werden. Sie denken, dass ein Studium in erster Linie dem späteren Gelderwerb dienen soll. Das Studium als Quelle des Wissens und der Liebe zur Weisheit scheint dagegen eher ausgedient zu haben. Wir haben vielleicht vergessen, dass wir die besten Erfindungen der Menschheit immer noch Einfühlungsvermögen, Klugheit und Fantasie verdanken. Stattdessen glauben wir Einfaltspinsel doch wahrhaftig, der größtmögliche Egoismus würde zum größtmöglichen Wohle aller führen.«
    Gino Saurini lachte und wirkte dabei ganz und gar nicht wie ein Einfaltspinsel. »Also haben wir begonnen, uns für ein Eliteinternat auszugeben. Wenn wir dann einem jungen Menschen anbieten, dass er hier studieren kann, natürlich kostenlos, haben die Eltern meist nichts dagegen. Im Gegenteil, sie freuen sich, und der Schüler kann dann frei entscheiden, ob er herkommen will oder nicht. Welches Elternteil würde es schon ablehnen, wenn sein Kind in Harvard, Cambridge oder Heidelberg umsonst studieren könnte?«
    Der Direktor zuckte elegant mit den Schultern.
    »Aber zurück in die Vergangenheit. Als die beiden Gründer der Akademie die besonderen Fähigkeiten dieses Hauses entdeckt hatten und dann erleben mussten, wie die argwöhnischen Mönche ihre Universität mit einem Federstrich verhinderten, war ihnen klar, dass sie die Akademie niemals am Leben erhalten könnten, wenn ihnen die Kirche oder andere mächtige Institutionen im Wege standen. So verfielen sie auf den überaus klugen Schachzug, die Akademie nach außen hin als eine Bank erscheinen zu lassen. Natürlich steht fast jede Bank dem Teufel sehr viel näher als die Akademie, aber das hat noch nie jemanden gestört. Banken besaßen schon immer ein hohes Ansehen in der Welt. Und durch einige Goldmünzen wurde auch der Mönchsorden ruhiggestellt. So konnte sich die Akademie in den folgenden Jahrhunderten unter ihrem Tarnmantel in Ruhe entwickeln. Aber nun zurück zu meiner Frage, Rufus. Was stellst du dir unter dem Namen vor?«
    Rufus fühlte sich, als säße er einem leicht verrückten Märchenerzähler gegenüber. Italienische Zwillingsbrüder, die eine Universität gründen wollten und deswegen Ärger mit Mönchen bekamen? Eine geheime Akademie unter dem Deckmantel einer Bank? Eigenartige Kräfte, die die Brüder angeblich entdeckt hatten und die dieses Haus besitzen sollte? Akademie zum leibhaftigen Studium vergangener Zeiten?
    Rufus öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Obwohl ein Teil in ihm Gino Saurini für einen äußerst merkwürdigen Schuldirektor hielt, wollte ein anderer Teil die Frage unbedingt beantworten. Er überlegte. Ganz offensichtlich bedeutete leibhaftig nicht Teufel. Das war ein Scherz der Brüder gewesen. Rufus war sich sicher, das Wort leibhaftig hatte er ganz bestimmt schon einmal in einem anderen Zusammenhang gehört. Aber wo? In einem Märchen, das war es! Dort hatte ein armer Bauernsohn, nachdem er eine Prinzessin auf einem Bild zu Gesicht bekommen hatte, die Prinzessin anschließend unbedingt leibhaftig sehen wollen. Ja, das war es! Leibhaftig hieß wirklich, in Fleisch und Blut, als lebendiges Mädchen. Aber wie konnte so ein Wort auch mit der Vergangenheit zu tun haben? Was vorbei war, war vorbei. Das konnte man ganz sicher nicht noch mal leibhaftig erleben.
    Oder etwa doch?
    Der Gedanke durchzuckte Rufus wieder wie ein elektrischer Schlag. Gleichzeitig hörte er sich sagen: »Leibhaftiges Studium vergangener Zeiten, das klingt so, als ob man richtig dabei ist.«
    Direktor Saurini lächelte. »So klingt es. Und es klingt natürlich unwahrscheinlich. Aber stell es dir einfach mal vor. Leibhaftig bei den historischen Quellen sein. Du weißt, was historische Quellen sind? Dinge aus dem Damals, die uns etwas über ihre Zeit verraten. Hier habe ich zum Beispiel eine.«
    Er beugte sich vor und schob Rufus über
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