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Die Knochen der Goetter

Die Knochen der Goetter

Titel: Die Knochen der Goetter
Autoren: Boris Pfeiffer
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den Schreibtisch ein dickes, in Leder gebundenes Buch zu. Auf dem Buchdeckel stand in goldenen, aber zerkratzen Lettern »Academia«. »Hier drin ist die Geschichte der Akademie aufgezeichnet, von ihren Anfängen bis heute. Nimm es nur!«
    Er sah Rufus auffordernd an.
    Rufus streckte die Hand aus und zog das Buch zu sich. Es fühlte sich schwer und gewichtig an und hatte bestimmt tausend Seiten. An den Rändern war das Papier dunkel und leicht gewellt.
    Rufus schlug es auf.
    Es war ein ganz normales Buch. Der Buchdeckel war zwar schwer und etwas gebogen, und Rufus konnte ahnen, dass der dicke Wälzer schon durch viele Hände gegangen war, aber sonst war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Vorsichtig blätterte er die ersten Seiten um. Der Titel war handgeschrieben. In schwarzer Tinte stand dort in großen, etwas krakeligen Buchstaben: »Bekannte Geheimnisse der Akademie der Abenteuer – aufgezeichnet von den Gebrüdern Micheluzzi«.
    Rufus wollte eben weiterblättern, als der Boden unter seinen Füßen zu beben anfing. Erschrocken blickte er auf.
    Direktor Saurini saß ganz ruhig in seinem Sessel und sah ihm zu. Nichts deutete darauf hin, dass er das Erdbeben, oder was immer hier gerade geschah, auch spürte.
    »Direktor Saurini?«, rief Rufus und stützte sich automatisch auf das dicke Buch auf, als ein weiterer heftiger Ruck durch das Zimmer fuhr. Aber Gino Saurini reagierte nicht. Er saß ganz ruhig da, und auch sein Stift und der Block aus Büttenpapier auf seinem Schreibtisch hatten sich nicht bewegt. Der Direktor schien nicht das Geringste zu bemerken. Rufus schüttelte den Kopf. Konnte das an dem Buch liegen? Er hatte immer noch die Hand auf dem Papier. Im selben Moment tauchten wie aus dem Nichts direkt hinter dem Direktor zwei Gestalten auf. Es waren zwei junge Männer. Beide waren groß und schlank. Der eine hatte schwarzes, der andere feuerrotes Haar und beide trugen mächtige Bärte. Und ganz offensichtlich stritten sie sich.
    »Oh, nein, Paolo!« rief eben der Rothaarige aufgebracht. »Denk an die Worte der Gelehrten! Historische Quellen sind sämtliche Resultate menschlicher Betätigungen, die zur Erkenntnis und zum Nachweis geschichtlicher Tatsachen ursprünglich bestimmt waren, und wenn nicht, so doch vermöge ihrer Existenz, Entstehung und sonstiger Verhältnisse vorzugsweise dazu geeignet sind. Und so soll sie auch heißen, unsere Academia. ›Academia zum leibhaftigen Studium sämtlicher Resultate menschlicher Betätigungen, die zur Erkenntnis und zum Nachweis …‹«
    »Bist du jetzt völlig von Sinnen?« Der Angesprochene raufte sich die Haare, sodass seine schwarzen Locken wie eine Wolke wilder Raben aufstoben. »Giorgio, das kann sich kein Mensch merken. Unsere Akademie soll ›Academia der Abenteuer‹ heißen. Alles andere ist nur Gehirnschwurbelei!«
    »Gehirnschwurbelei?« Jetzt zersauste sich Giorgio empört die roten Locken.
    Rufus Augen wurden groß. Was immer er da gerade zu sehen bekam, das Bild vor ihm wurde immer klarer. Es war inzwischen so deutlich, dass Direktor Saurini dahinter zu verschwinden schien. Die beiden Brüder standen vor einem lodernden Kaminfeuer und stritten heftig. Und der Kamin, in dem das Feuer brannte, war ganz eindeutig derselbe, der hinter dem Direktor in die Wand eingelassen war.
    In diesem Moment warf der rothaarige Giorgio wütend ein Scheit in die Flammen. »Wie ich es sage, ist es gut ausgedrückt!«, schrie er zornig.
    »Auf keinen Fall ist das gut ausgedrückt!«, erwiderte der schwarzhaarige Paolo nicht weniger heftig. »Allein dieses Ungetüm von Namen auszusprechen, dauert ja länger als ein Studium hier!«
    Giorgio stöhnte. »Aber nur, weil du ein Spatzenhirn hast!«
    Paolo spuckte in die Flammen, dass es zischte. »Ich hatte noch nie ein Spatzenhirn und ich werde es auch nicht mehr bekommen. ›Academia der Abenteuer‹!«
    »Niemals!«, rief Giorgio. »Das klingt wie ein Kindermärchen, wie eine Geschichte von Ungeheuern, die man sich vor dem Einschlafen erzählt. Aber die wahren Abenteuer sind die Abenteuer des Geistes, der Vernunft und des Wissens. Und nur so darf unsere Academia heißen.«
    »Nein, Giorgio«, widersprach Paolo, »unsere Academia ist doch wie ein Märchen. Das schönste aller Märchen! Wie ein leibhaftig geträumtes, wunderbares Märchen. Aber der Name, den du ihr geben willst, der klingt nicht wie etwas Schönes, sondern, als ob einer sein Gehirn den ganzen langen Tag wie einen Esel um den Brunnen trotten lässt, damit er die
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