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Kein Freibier für Matzbach

Kein Freibier für Matzbach

Titel: Kein Freibier für Matzbach
Autoren: Gisbert Haefs
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Aus: Jakob Grunewald
, Willkürliche Biogramme, 3
1991
*
    » ... wurde Baltasar Matzbach als ›Universaldilettant‹ bezeichnet, der sich in die Gefilde der Kriminalistik verirrt habe. Das Etikett ... beklebt einen, der von vielen Dingen zu viel weiß, um sie ernst zu nehmen, zu wenig, um von ihnen ernstgenommen zu werden, und genug, um Experten zu bluffen und Laien zu amüsieren. ... Ein Bekannter mutmaßte auch, B. M. leide (?) an Elephantiasis der Seele. Interessanter sind jedoch andere Aspekte, so z. B. Matzbachs verwegene Verfressenheit; wie zu Zeus Sein Donner und zu Jehovah Sein Zorn gehört zu Baltasar Sein Wanst. Immerhin kann er es sich seit vielen Jahren leisten, Hecht zu essen und zum folgenden Fleischgang einen Grand Cru zu trinken. Er wuchs nach dem Verscheiden seiner Eltern bei Verwandten auf und studierte später Philosophie und Atomphysik. Dabei erfand er etwas für ein Betatron, so kompliziert, daß er es selbst schon längst nicht mehr erklären kann, aber das Patent wird international verwendet und wirft einiges ab; anschließend wandte Matzbach sich der Musik zu und komponierte ein bißchen, darunter einen vollendet schwachsinnigen Schlager, der noch immer läuft und zwei- bis dreimal pro Jahr neu aufgenommen wird, und so schickt die GEMA ihm bisweilen einen freundlichen Scheck. Ein Hauptgewinn im Lotto sorgte 1962 dafür, daß Baltasar aus dem Gröbsten heraus war. Er investierte klug und ergab sich der sinnlosen Bildung, wobei er von den exakten zu den diffusen Gebieten überging; so stammt aus seiner Feder ein in Fachkreisen geschätztes Werk über
Monotheistische Strömungen des inselkeltischen Druidentums. *
Einige Jahre hielt er sich an der bretonischen Nordküste auf, bevor die touristische Völkerwanderung sie verwüstete, und weilte dort als Mäzen und Manager junger Künstler, Veruntreuer von frühen Touristinnen und Privatdozent gegen Okkultismus. Dabei verfaßte er zwei weitere Standardwerke:
Schamanistische Einflüsse in die Analekten des Konfuzius *
und
Sexualpathologische Aspekte der Psychokinese. *
Und tat zahllose weitere unsinnige Dinge, die ausnahmslos zu Gold wurden (er habe, behauptet er, in dieser Beziehung etwas durchaus Eselhaftes an sich). Jahrelang verdiente er sich ein regelmäßiges Zubrot mit seinem Kummerkasten
Fragen Sie Frau Griseldis;
außerdem droht irgendwann die Veröffentlichung seines geheimen Hauptwerks
Der Leichnam in der Weltliteratur.
(Die Mutmaßung, seine detektivischen Aktivitäten seien nur ein Vorwand dafür oder umgekehrt, ist nicht von der Hand zu weisen.)
...«
    *
Alle Titel erschienen im Verlag für Enzyklopädische Geisteswissenschaften (Edinburgh – Simla – Wachtendonk – Córdoba – Beaune)
.

1. Kapitel
    Oft grub ich Tote aus und setzte sie vor ihrer Freunde Türen aufrecht hin.
    W ILLIAM S HAKESPEARE
    Um halb vier morgens am Dienstag, 6. September 1994, verließ Baltasar Matzbach den umgebauten Rheindampfer
Spelunke
. Er schloß die doppelte Schiebetür nicht ab; das würde Felix Yü tun, der an Bord hauste und irgendwann schlafen gehen wollte.
    Dank milder Nachtbrise stank der Fluß kaum. Wasseranteil und Flüssigkeitsstand waren niedrig; der Anleger hing weit unten in den Befestigungsschienen. Auf der steilen Treppe zur Uferpromenade lag etwas.
    Es sah plump und unvollständig aus, aber eher drapiert und arrangiert denn hingeworfen. Sternklare Nacht und Uferlaternen gaben genug Licht; Matzbach kniete am Fuß der Treppe nieder und betrachtete den Gegenstand.
    Es war ein kopfloser Leichnam, nackt, relativ männlich, in der Brust ein fransiges Loch; die verdrehten Hände hielten über dem Nabel einen dunklen Klumpen. Wie eine Büste stand der Kopf ein paar Stufen oberhalb. Die abgeschnittenen Genitalien hingen aus dem Mund.
    »Das ist Albo«, murmelte Matzbach. »Dem wird doch nichts passiert sein?«
    Ein Hauch wie Zimt und Geißblatt kam vom Ufer und überdeckte den salzigen Geruch von Fleisch und Blut. Matzbach blieb auf den Knien, musterte den Verstümmelten, die Treppe, das Geländer am Ufer; dann schloß er die Augen und sortierte seine Erinnerungen.
    Der Mann hatte die vertäute Kneipe gegen elf Uhr verlassen, allein und fast nüchtern. Es mochten zehn oder zwölf Gäste dageblieben sein – flauer Montag. Der Bauunternehmer und Investor Erler hatte wieder ein Angebot gemacht, höher als die bisherigen: nicht mehr ein Drittel, sondern neunundvierzig Prozent der
Spelunke
, und Matzbach hatte wie üblich abgelehnt; der Chinese
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