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Kein Freibier für Matzbach

Kein Freibier für Matzbach

Titel: Kein Freibier für Matzbach
Autoren: Gisbert Haefs
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dem kaum unwirtlicheren Stadthaus, der eigentlichen City; die Miete war gelegentlich angepaßt worden, aber erschwinglich geblieben; die Umgebung und die übrigen Bewohner der Nordstadt lösten zumindest keine Aversionen bei ihm aus; aber insgesamt ...
    »Du mußt dein Leben ändern, Michelangelo«, sagte er halblaut. Und dann: »Strike another match, go start anew, Baby Blue.« Schließlich, eher mauschelnd denn murmelnd: »Ta gueule, métèque; et mes cheveux aux quatre vents.«
    Über dem Sofa hing noch immer der nicht besonders gute Druck von Boschs
Garten der Lüste
, vor Jahren im Souvenirladen des Prado erstanden. Zwei Türen, zu Diele und Schlafzimmer, und das Fenster waren die einzigen nicht mit überschäumenden Regalen vollgestellten Wandflächen. Der querstehende Schreibtisch quoll über von Büchern, Papier und Schreibzeug, ebenso der Couchtisch und die drei Sessel; überall ragten und wankten Bücherstapel. Im Schlafzimmer sah es ähnlich aus, auch in der Diele.
    »Was Weitläufiges im Vorgebirge? Im Bergischen? Und eine Schlupfkammer an Bord der
Spelunke
? Bah.«
    Schlurfend und schlürfend tigerte er zehnmal durch die Räume, hockte sich schließlich auf die Fensterbank und frühstückte eine leichte Panetela (Sumatra). Unterm Schreibtisch duckte sich die alte riesige Adler, auf der er jahrelang »Frau Griseldis« gespielt hatte und irgendwann einmal die Liste seiner zwischen ’65 und ’73 erschienenen Miszellen durch ein tiefschürfendes Werk philosophischer, literarischer oder sonstwie unsinniger Natur hatte ergänzen wollen. Das Gerät hatte seit Jahren nur noch drei Funktionen: Es diente als Memorandum, es sammelte Staub, und es beschädigte seine Zehen.
    »Du mußt dein Leben ändern, Rainer M.« Er sagte es beinahe laut und blies den Worten ein paar Rauchkringel hinterher. Er begrübelte ein Haus in einem Nebental der Ahr und die Frau, mit der er dort hätte leben mögen. Sinnlos niedergebrannt das Haus, sinnlos gestorben die Frau. Um sich abzulenken, dachte er an einige nicht überzeugende Tröstungsversuche, Gymnastik ohne Seele, dann an andere Frauen, früher, die sich zeitweilig ordnungsstiftend in sein Chaos verirrt hatten, es zu mehren.
    Aus einem der Stapel auf dem Schreibtisch lugte die schwarze Kante eines Schreibens heraus: die Anzeige, daß wieder einer den Löffel abgegeben hatte, Carlo Neumann, 55 (wie er), ehemaliger Student der Philosophie (wie er), trotz Behinderung und Siechtum zum Professor avanciert, trotz Professorentitels tot. Wie andere; der zerstückelte Alberich; ein alter Freund, dessen Herz nicht mehr hatte schlagen, und einer, dessen Privatmaschine nicht mehr hatte fliegen wollen. Die Einschläge rückten immer näher.
    Dann riß er sich zusammen. »Hör auf, sonst machst du weiter«, knurrte er. »Mach lieber weiter, sonst hört sich alles auf.«
    Kurz nach vier verließ er die Wohnung, durch helle Jeans und ein kackbraunes Schlupfhemd gegen den Spätsommer geschützt. Er dachte an Rapunzel Schmidt und die flüchtige Affäre, Jahre her; an ihr schulterlanges braunes Haar, das vor sechs Monaten, als er sie das letzte Mal gesehen, graue Strähnen getrieben hatte; an ihre dringliche Bitte, Unterschlupfadresse und -telefon nicht weiterzugeben.
    In seinem Briefkasten lagen ein paar Werbeprospekte, die er sofort entsorgte, ein paar Drucksachen, die ebenfalls in die blaue Tonne im Flur wanderten, und ein Zettel, auf den jemand mit Schreibmaschine getippt hatte: MORGEN KONTO CHECKEN .
    »Hä?« sagte er halblaut. Er sann darüber nach, fand aber keine beruhigende Antwort; auch der Anblick des schokoladeblauen Wagens, sonst oft inspirierend, half ihm nicht weiter.
    Mit dem Citroën fuhr er zu einer Garage an der Kölnstraße, wo er einen Standplatz gemietet hatte. Er wechselte ein paar Worte mit dem Garagisten, navigierte den dunkelgrünen Rover heraus und die DS hinein und brach auf in Richtung Vorgebirge.
    Das Haus, in dem Rapunzel Zuflucht gesucht hatte, war tatsächlich ein Gehöft, lag außerhalb von Brenig fast genau am Rand des Hochplateaus über den Obst- und Gemüseparzellen des Lößhangs und hatte einen weiten Blick auf das Rheintal, die Raffinerien und Kappesfelder, das Bergische Land und Köln; die Spitzen des Doms waren gut zu sehen. Durch den Torbogen in der alten, offenbar intakten Scheune gelangte Matzbach auf den rechteckigen Innenhof. An beiden Längsseiten waren ehemalige Ställe renoviert und zu Wohnzwecken umgebaut worden. Der Hof war mit Kopfsteinen
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