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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Autoren: Lynn Flewelling
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1
Dunkle Hoffnungen
     
     
    Der graupelschwere Wind schüttelte Magyana und löste feuchte Strähnen aus dem üppigen weißen Zopf der Zauberin, während sie über den verbrannten Boden des Schlachtfeldes wanderte. Am Flussufer in der Ferne blähten sich im Lager der Königin die Zeltbahnen über dem knarrenden Holzgestänge, wie schwarze Gespenster auf einer schwarzbraunen Ebene. Innerhalb der provisorischen Umzäunung drängten sich die Pferde mit dem Rücken zum Wind aneinander, genau wie die unglücklichen Soldaten auf Wachposten, deren grüne Waffenröcke die einzigen Farbtupfer vor diesem düsteren Hintergrund bildeten.
    Magyana zog ihren durchnässten Umhang enger um die Schultern. Nie in all ihren dreihundertunddrei Jahren hatte sie die Kälte so schneidend empfunden. Vielleicht, so dachte sie traurig, hatte der Glaube sie bisher warm gehalten, der Glaube an die behaglichen Rhythmen ihres Lebens und der Glaube an Nysander, den Zauberer, der zwei Jahrhunderte lang ein Teil ihrer Seele gewesen war. Dieser verfluchte Krieg hatte ihr beides geraubt. Beinahe ein Drittel der Zauberer der Orëska war tot, Jahrhunderte des Lebens und Lernens einfach ausgelöscht. Der zweite Gemahl von Königin Idrilain und zwei ihrer Söhne waren im Kampf gefallen, außerdem Dutzende von Edelleuten und zahllose gewöhnliche Soldaten – von scharfen Klingen oder todbringenden Seuchen in Bilairys Reich hinabgestoßen.
    Unter Magyanas Trauer mischte sich der Unmut über die Zerstörung ihres geordneten Lebens. Sie war eine Reisende, ein Zugvogel, eine Gelehrte, Sammlerin der Wunder und Geschichten des Lebens. Nur widerstrebend hatte sie Nysanders Platz an der Seite der alternden Königin eingenommen.
    Mein armer Nysander. Sie wischte sich eine windgepeitschte Träne von der Wange. Dir hätte das gefallen. Du hättest es als ein großes Spiel gesehen, das es zu gewinnen gilt.
    Aber nun war nur sie hier, gefangen in der winterlichen Wildnis des südlichen Mycena, einem Land, das erneut vom Blut zweier kriegslustiger Nachbarn gezeichnet war. Plenimar streckte die gierigen Klauen nach den Grenzen von Skala und gen Norden nach den fruchtbaren Ländereien am Rande der Goldstraße aus. Dieser harte zweite Winter hatte die Kämpfe behindert, aber nun, da die Tage langsam wieder länger wurden, brachten die Spione der Königin täglich neue Kunde des Undenkbaren; ihre mycenischen Verbündeten erwogen die Kapitulation.
    Nicht gerade verwunderlich, dachte Magyana, als sie endlich den Rand des Lagers erreichte. Die letzte Schlacht lag erst fünf Tage zurück. Die zerstörten Felder, auf denen einst Bauern Korngarben geschnitten hatten, trugen nun grausige Früchte: zerfetzte Banner, zerbrochene Schnallen und Pfeilspitzen, zwischen denen stöbernde Lumpensammler herumstreunten. Hier und dort beklagenswerte menschliche Überreste, von der Kälte so steif gefroren, dass sie selbst für die Schnäbel der Raben zu hart waren. Wenn erst das Frühjahr das Land mit Tauwetter überzog, würden diese Felder eine bittere Ernte hervorbringen. Jetzt, nachdem alles so furchtbar fehlgeschlagen war, fürchtete sie, dass dann keiner von ihnen mehr hier sein würde, um dies zu erleben.
     
    Die Plenimaraner hatten sie kurz vor Sonnenaufgang überrumpelt. Idrilain war in ihre Rüstung gesprungen und hatte ihre Truppen zu den Waffen gerufen, noch ehe Magyana an ihre Seite eilen konnte. Eine Schnalle des königlichen Harnischs war unverschlossen geblieben, und im Zuge des Kampfes hatte ein plenimaranischer Pfeil die Lücke gefunden und den linken Lungenflügel der Königin durchbohrt. Sie hatte die Entfernung des Pfeils überlebt, aber die Wunde hatte schnell zu eitern begonnen. Plenimaranische Bogenschützen tauchten ihre Pfeilspitzen vor der Schlacht in Exkremente.
    Seither setzte eine ganze Schar drysischer Heiler ihre vereinten Kräfte ein, um sie am Leben zu halten, während die Wunde faulte und das Fieber ihr das Fleisch von den Knochen sengte. Es war qualvoll, mitanzusehen, wie Idrilain diesen stillen Kampf ausfocht, doch sie hatte sich geweigert, ihren eigenen Gnadenstoß anzuordnen.
    »Nicht jetzt. Nicht, so wie die Dinge stehen«, hatte sie gestöhnt, während sie Magyanas Hand umklammerte und ihr keuchend und zitternd ihre Pläne darlegte.
     
    Als sie das große Zelt der Königin, erreichte, sprach Magyana ein stummes Gebet. Oh Illior, Sakor, Astellus und Dalna, nun ist die Stunde gekommen! Schenkt unserer Königin die Kraft, uns mit ihrer List aus
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