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Goettin in Gummistiefeln

Goettin in Gummistiefeln

Titel: Goettin in Gummistiefeln
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    Würden Sie sich als gestresst bezeichnen?
    Nein. Ganz sicher nicht.
    Ich habe nur ... einfach viel zu tun. So ist das nun mal, wenn man einen anspruchsvollen Job hat. Ich bin ehrgeizig/karrierebewusst und habe Spaß an meiner Arbeit.
    Na gut, manchmal stehe ich schon ein bisschen unter Druck. Ich bin schließlich Rechtsanwältin in der Londoner City, dem Finanzmekka sozusagen. Haben Sie einen Schimmer, was das heißt?! Nein?
    Ich habe so fest aufgedrückt, dass der Stift glatt durchs Papier gegangen ist. Mist. Egal. Auf zur nächsten Frage.
    Wie viele Stunden verbringen Sie täglich am Arbeitsplatz?
    Kommt drauf an.
    Treiben Sie regelmäßig Sport?
    Ich gehe regelmäßig schwimmen.
    Ich gehe schwimmen, so oft ich kann.
    Ich habe vor, demnächst mal wieder zum Schwimmen zu gehen. Sobald ich Zeit habe. Ist im Moment viel los in der Kanzlei. Aber nur vorübergehend.
    Trinken Sie täglich mindestens 8 Gläser Wasser?
    Ja
    Manchma...
    Nein.
    Ich setze kurz ab und räuspere mich. Maya blickt von ihrer kampfbereit aufgepflanzten Kosmetika-Batterie auf. Maya ist die mir zugeteilte Beauty-Therapeutin. Ihr langes dunkles Haar mit der einzelnen weißen Strähne ist zu einem Zopf geflochten. In einem Nasenflügel blitzt ein dezenter Strassstein.
    »Kommen Sie voran? Wenn Sie irgendetwas nicht verstehen, fragen Sie mich nur«, sagt sie mit ihrer angenehmen, leisen Stimme.
    »Nun, ich bin ein wenig in Eile, das sagte ich ja bereits«, merke ich höflich an. »Muss ich das denn wirklich alles beantworten?«
    »Ich fürchte, ja. Diese Fragen dienen dazu, so viel wie möglich über die Gesundheits- und Beauty-Defizite unserer Kundinnen in Erfahrung zu bringen«, erklärt sie, nun mit einem Hauch von Strenge.
    Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Schon Viertel vor zehn.
    Ich habe einfach keine Zeit für dieses Theater. Ehrlich. Aber es ist nun mal ein Geburtstagsgeschenk und ich hab‘s Tante Patsy versprochen.
    Genauer gesagt, habe ich den Gutschein schon vor einem Jahr, zu meinem letzten Geburtstag, bekommen. Um mich mal so richtig zu entspannen. Mir was zu gönnen. Tante Patsy ist die Schwester meiner Mutter und hat was gegen Karrierefrauen. Immer, wenn ich sie sehe, packt sie mich bei den Schultern und späht mir besorgt ins Gesicht. Auf der beigefügten Karte stand: »Lass dich einfach mal in aller Ruhe verwöhnen, Samantha!«
    Was ich ja auch vorhabe. Bloß, dass im Moment so viel los ist in der Kanzlei. Und irgendwie ist das Jahr verflogen, ohne dass ich auch nur eine Sekunde Zeit gefunden habe. Ich bin Rechtsanwältin bei Carter Spink, und, wie gesagt, im Moment ist ein bisschen viel los. Nur vorübergehend, natürlich. In ein paar Wochen ist der Spuk vorbei. Bestimmt.
    Na jedenfalls, als ich dann vor ein paar Tagen Tante Patsys diesjährige Geburtstagskarte erhielt, fiel mir plötzlich siedend heiß ein, dass ich den Gutschein vom letzten Jahr ja noch gar nicht verbraten hatte und dass es höchste Zeit wurde, bevor er verfällt. Und deshalb sitze ich jetzt hier auf dem Sofa. An meinem neunundzwanzigsten Geburtstag. In einem weißen Frotteebademantel und grauslichen Wegwerfslips. Wo ich doch eigentlich in der Kanzlei sein sollte.
    Rauchen Sie?
    Nein.
    Trinken Sie Alkohol?
    Ja.
    Bereiten Sie sich regelmäßig frische Mahlzeiten zu?
    Was soll das schon wieder heißen? Ich blicke auf, ein wenig unsicher. Wozu sollte ich mir selbst was kochen?
    Ich ernähre mich gesund und ausgewogen,
    schreibe ich schließlich hin.
    Was die absolute Wahrheit ist.
    Weiß doch jeder, dass die Chinesen länger leben - was könnte also gesünder sein, als sich regelmäßig was vom Take-Away zu holen? Und Pizza, das ist was Mediterranes. Ist wahrscheinlich sogar noch gesünder als Selbstgekochtes.
    Haben Sie das Gefühl, ein ausgeglichenes Leben zu führen?
    Ja.
    »Fertig«, verkünde ich und reiche den Fragebogen an Maya weiter, die sich sofort darin vertieft. Ihr Finger kriecht im Schneckentempo übers Papier. Als ob wir alle Zeit der Welt hätten.
    Sie vielleicht. Ich nicht. Ich muss bis eins im Büro sein. Allerspätestens.
    »Ich habe Ihre Antworten gründlich studiert«, Maya mustert mich bedenklich, »und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie offenbar eine außerordentlich gestresste Person sind.«
    Was? Wie bitte? Wo hat sie das denn her? Ich habe doch draufgeschrieben, dass ich nicht gestresst bin.
    »Nein, das bin ich nicht.« Ich zaubere ein Da-siehst-du-mal-wie-entspannt-ich-bin-Lächeln auf mein Gesicht.
    Maya wirkt nicht gerade
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