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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Vorwort
    Es könnte sein, dass einige meiner Leser geneigt sind, den folgenden Roman in das Genre Mystery einzuordnen. Um dem vorzubeugen, möchte ich ein paar Worte über die neusten Forschungen auf dem Gebiet der Biologie voranschicken.
    Es ist nicht lange her, da herrschte bei Naturforschern das einfache Konzept: Alle Organismen, bis hin zu den Organen des Menschen, sind kleine Maschinen. Dieser Glaube ist mittlerweile außer Kraft gesetzt. Die Biologie hat ihre Objektivität aufgehoben, denn selbst die sensationelle Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat nicht dazu geführt nachzuvollziehen, wie sich aus den Genen ein fertiger Körper bilden kann. Je mehr heute das Leben auf der Mikroebene studiert wird, desto mehr häufen sich die Beweise, wie komplex und intelligent beispielsweise eine menschliche Zelle arbeitet. Jeder Mensch besitzt 50 bis 100 Billionen davon, und jede einzelne Zelle sucht aktiv nach einer geeigneten Umgebung, die ihr Überleben fördert, das heißt sie wird von einem übergeordneten Wissen zusammengehalten, was für sie gut ist und was ihr schadet.
    Seit einigen Jahren treten im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin zunehmend Phänomene auf, die transplantierte Organe nicht nur als ein Stück Fleisch erscheinen lassen. Den Organen scheint eine Erinnerungsfähigkeit innezuwohnen, die bis dahin nur dem Gehirn zugeschrieben wurde. Besonders Organempfänger von Herzen haben nach ihren Operationen von Veränderungen ihrer Persönlichkeit berichtet, die auf den Spender hindeuten.
    Das bestätigt die alte These des italienischen Philosophen Eugenio Rignano (1870–1930): Alle Materie, besonders aber lebende Materie, besitzt ein Gedächtnis.
    Die folgende Geschichte ist zwar frei erfunden, stützt sich aber auf Erfahrungen, die nach realen Herztransplantationen gemacht wurden.
     
     
     
     
     
     
    Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.
    Sherlock Holmes zu Dr. Watson
     
     
     
     
     
     
    In höheren, bewussten Lebensformen entwickelte das Gehirn eine Spezialisierung, die es dem gesamten System ermöglichte, sich auf seine regulatorischen Signale einzuschwingen. Die Evolution des limbischen Systems erzeugte einen einzigartigen Mechanismus, der chemischen Kommunikationssignale in Empfindungen übersetzte, die von allen Zellen der Gemeinschaft wahrgenommen werden konnten. In unserem Bewusstsein erfahren wir diese Signale als Emotionen. Das Bewusstsein nimmt nicht nur den Fluss der koordinierenden Zellsignale wahr, sondern kann auch Emotionen erzeugen, die sich im Nervensystem in Form kontrollierter Freisetzung von regulatorischen Signalen manifestieren.
    Zellbiologe Bruce Lipton

Juni 1998
    Vor ihm gibt es nichts zu sehen, nur die Leuchtziffern seiner Digitaluhr schweben direkt vor seinen Augen durch den freien Raum. Es ist kurz nach 4 Uhr. Der Mann erhebt sich von der Holzkiste und streckt sich stumm. Seit einigen Stunden ist es stockfinster um ihn herum, selbst durch das kleine vergitterte Fenster zur Straße fällt kein noch so schwaches Licht in den Heizungskeller. Er setzt seine Infrarotbrille auf und ist nicht mehr blind. So erreicht er mit wenigen Schritten problemlos die Eisentür, die ins Treppenhaus führt, öffnet sie mit dem angefertigten Nachschlüssel, drückt sie einen Spalt auf und lauscht hinauf.
    Vor einer Stunde hatte er das Gleiche schon einmal gemacht. Aber, obwohl er keinen Laut vernommen hatte, war er sicherheitshalber weiterhin an seinem Platz geblieben. Gegen zwei waren die letzten Schritte und Stimmen im Treppenhaus zu hören gewesen, seitdem ist es still geblieben.
    Neben der Tür steht seine Tasche mit dem Spezialequipment. Er hängt sie um und schließt die Tür hinter sich wieder ab. Das Schloss hatte er beim Kommen routinemäßig geölt, jetzt dreht es sich butterweich. Als er die Kellertreppe nach oben steigt, beginnt er leise vor sich hin zu summen: Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da . Das Lied stammt aus dem uralten Ufa-Film Tanz auf dem Vulkan . Es wird von dem berühmten Gustaf Gründgens gesungen, der den rebellischen Schauspieler Debureau darstellt und zur Nazizeit damit sogar den Zorn von Goebbels auf sich gezogen hatte.
    Seit er hier im Westen seine Brötchen verdient, hat er ein Faible für alte Schwarz-Weiß-Filme entwickelt. Tanz auf dem Vulkan lief
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