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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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sie versucht, zur Grande Dame gewählt zu werden, aber gegen Juliana hat sie jedes Mal haushoch verloren!»
    «Den Teufel freut so recht ein loses Maul», zischte die Witwe Gebba in ihre Richtung, denn sie hatte Magdalènes Tratsch doch gehört. Aber diese ließ sich nicht einschüchtern. «Und ehe du es von den anderen hörst, will ich dir gleich sagen: Ja, ich war eine Hure. Deshalb nenne ich mich auch Magdalène. Denn wenn Jesus der Sünderin vergeben konnte, warum sollten meine Schwestern das nicht auch fertigbringen?» Das Letzte sagte sie mit einem kampflustigen Blick in Gebbas Richtung.
    Der letzte Krümel Ingwerkuchen war vom Tisch gepickt. Juliana klatschte in die Hände. «Liebe Schwestern. Wir wollen nun auch unsere Seelen nähren! Danielle», sie wies auf ein kleines Pult am Kopfende des Raumes, «bitte lies uns etwas vor. Die Stelle ist markiert, bis zu der wir gestern Abend gekommen sind. Fahre einfach fort!»
    Danielle stand auf und ging zum Pult. Da lag ein schön illuminiertes Buch. Sie schlug es so vorsichtig auf, wie es einer solchen Kostbarkeit gebührte, und begann:
    «Sicelides Musae, paulo maiora canamus. Non omnis arbusta iuvant humilesque myricae; si canimus silvas, silvae sint consule dignae   …»
    Sie bemerkte eine verblüffte Stille im Raum und blickte von den Seiten auf.
    Julianas Mund umspielte ein zufriedenes Lächeln. «Ach», sagte sie nur, «verzeih, das ist das falsche Buch. Schau doch unter dem Pult nach, da muss dasjenige liegen, das wir gestern angefangen haben.»
    Danielle holte das andere Buch hervor und begann mit ihrer ruhigen, warmen Altstimme daraus in der Landessprache vorzulesen.
    «Schau, schau! Die Neue kann lesen! Sogar Latein!», raunte Anne, die Kopistin.

2.
    «Komm mit mir», sagte Magdalène zu Danielle. «Ich zeige dir, wo du schlafen kannst.»
    Sie lief vor ihr die Treppe zum Schlafsaal hoch. Geschmeidig bewegten sich ihre Hüften unter dem vollen Rock, den alle Beginen trugen. Er war aus ungefärbter Wolle, schmucklos und weit, um die weibliche Form keusch zu verbergen, und dennoch wirkte er an Magdalène wie ein Festgewand. Sie hatte die trägen, sinnlichen Bewegungen einer Katze – da war nichts zu machen.
    Danielle riss ihren Blick von Magdalènes wiegenden Hüften los und nahm den Schlafsaal in Augenschein, der von nun an ihr Zuhause sein würde: Ein luftiger, weiter Raum unter dem Dach, die Wände weiß gekalkt, eine Reihe von Strohsäcken auf den Dielen, dahinter die Holztruhen, in denen die Frauen ihre Habseligkeiten aufbewahrten.
    «Hier schlafen diejenigen, die sich kein eigenes Haus leisten können», plauderte Magdalène, «das sind fast alle außer Juliana, Anne und Gebba. Und dass Gebba nicht hier wohnt, dafür danke ich dem Herrn jeden Tag. So muss man sich ihre Spitzigkeiten nicht auch noch zur guten Nacht anhören! Ich wette, sie muss ihre Zunge nachts in ein Futteral tun, damit sie sich nicht von innen durch die Lippen sticht!»
    Danielle lächelte, ein vorsichtiges kleines Lächeln nur. Es gelang nicht oft, sie zum Lächeln zu bringen, obwohl sie immer freundlich war. Magdalène freute sich.
    «Welches Bett soll ich nehmen?»
    «Das da!» Magdalène ließ sich auf einen Strohsack amEnde der Reihe fallen und wies einladend auf das Lager neben sich. «Da. Rutsch ein wenig heran. Leg dich zu mir! Dann können wir noch ein bisschen schwatzen, wenn sie die Kerzen ausmachen. Das habe ich mit meiner Schwester immer getan, als wir Kinder waren. Wir haben immer alles besprochen, was wir am Tage erlebt hatten und uns unsere Sorgen und Wünsche erzählt.»
    Zögernd ließ sich Danielle auf die Bettstelle nieder. Sie setzte sich ganz auf den Rand, zog die Beine an und wickelte den weiten Rock um die Knie. Sie zeigte auf die Truhe, ein abgestoßenes altes Ding aus Pinienholz, dunkel von jahrelangem Gebrauch und unzähligen Schichten Wachs und Rauch.
    «Die brauche ich nicht. Ich habe ja nichts, was ich hineintun könnte.»
    «Ach, da wird es schon bald etwas geben. Du musst ja auch deine Kleider irgendwo lassen. Du bekommst noch etwas zum Wechseln, etwas Abgelegtes fürchte ich, so lange, bis du dir selbst etwas genäht hast. Und später wirst du Geld verdienen und kannst dir dann auch etwas Neues, eigens für dich Gemachtes kaufen.»
    Danielle strich mit der Hand über den Stoff ihres Ärmels. Kleidung, die sauber war und ohne Risse oder Löcher. Sie duftete sogar zart nach Lavendel. Allein das erschien ihr schon unerhört luxuriös. Und da war noch
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