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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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voller Hoffnung und Anfang.»
    Die Fremde zuckte die Achseln. Hoffnung und Anfang schienen ihr nicht viel zu bedeuten. Überhaupt wirkte sie fast übermäßig ruhig, geradezu unbeteiligt.
    «Sie sagen mir, du seist gesund», sagte Juliana schließlich. «Was wirst du jetzt tun?»
    «Ich weiß nicht», antwortete die Unbekannte. Ihr Kopf war nun fast vollständig von kurzen braunen Locken bedeckt, und ihr Gesicht war voller geworden. «Könnte ich nicht hierbleiben?»
    «Bist du sicher, dass du das willst? Du weißt, wir leben ähnlich wie die wohlgeborenen Nonnen: keusch und bescheiden. Wir beten und arbeiten und tun gute Werke. Wir leben für Gott, nicht für uns selbst.»
    «Es kommt mir so vor», sagte die Fremde langsam, «als ob es das Richtige wäre. Ich habe auch sonst nichts und niemand, wohin ich gehen könnte.»
    «Dass du kein Dach über dem Kopf hast, ist kein Grund», sagte Juliana streng. «Wir sind keine Herberge für alleinstehende Frauen. Du musst schon wirklich fromm sein. Und eigentlich nehmen wir auch nur Frauen auf, die einen guten Leumund haben. Von dir wissen wir ja gar nichts.»
    Die Italienerin schwieg und betrachtete Vogelspuren in der frisch aufgehackten Beeterde.
    «Wir werden dich nicht einfach fortjagen. Ich habe einen angenehmen Eindruck von dir, und einige der anderen haben für dich gesprochen», fügte Juliana begütigend hinzu.
    «Danke. Aber einen Leumund habe ich ja nun mal nicht», sagte die Fremde kaum hörbar.
    «Nein, hast du nicht. Ja, die Mutter Kirche möchte uns nur zu gerne Vorschriften machen. Aber Jesus hat auch nicht nach dem Leumund gefragt. Am liebsten wäre es ihnen ohnehin, wenn wir keine Frauen unter vierzig aufnähmen, weil sie argwöhnen, dass in unseren Häusern gegen das Keuschheitsgebot verstoßen wird. Eine wie Magdalène dürfte schon gar nicht bei uns sein. Aber wir machen hier unsere eigenen Regeln. Ich schlage also vor, dass du ein halbes Jahr Probezeit erhältst. Danach kannst du entscheiden, ob du bei uns bleiben willst – und wir, ob du zu uns passt. Ist dir das recht?»
    Die Italienerin schaute auf und lächelte ein kleines frostiges Lächeln.
    «Was mich betrifft, so brauche ich mit der Entscheidung nicht zu warten. Es wäre das Beste, wenn ich der Welt entsagte und nur noch Gott diente», sagte sie.
    «Ach, du solltest die Welt nicht allzu rasch verstoßen, Kind. Man sagt das so dahin, wenn man eine große Enttäuschung erlitten hat. Aber die Zeit heilt viel. In einem halben Jahr sehen wir weiter. Und übrigens kannst du auch später wieder in die Welt hinausgehen. Bei uns muss sich keine bis an das Lebensende verpflichten. Wir schwören keine Eide und stehen dem Leben nicht im Weg.»
    «Ich werde für immer hierbleiben – wenn ich darf», war die schnelle Antwort.
    Julianas Mundwinkel zuckten amüsiert. «Ja, ja. Und wie sollen wir dich nun nennen? Wir können schließlich nicht immer weiter ‹he du› oder ‹Italienerin› zu dir sagen.»
    «Einen Namen?» Ihr Gesicht nahm wieder diesen gequälten Ausdruck an, wie immer, wenn sie sich anstrengte, sich zu erinnern.
    Juliana beugte sich vor und nahm ihre Hand. «Es muss nicht dein richtiger Name sein. Viele von uns wählen einen neuen Namen, wenn sie hierherkommen. Einen Namen, der ausdrückt, was sie sich vorgenommen haben, worauf sie hoffen oder wie sie gesehen werden möchten. Ein Name ist ein Wunsch, eine Idee. Man kann damit einen neuen Anfang versuchen, auch wenn man tief im Innern die Alte bleibt. Also, wie möchtest du, dass wir dich nennen?»
    Sie dachte nach. «Danielle», erwiderte sie dann.
     
    «Danielle? Das bedeutet ‹Gott ist der Richter›», sagte Gebba spitz, als sie davon hörte. «Na – bitte sehr! Und sie hat doch was ausgefressen! Jetzt besitzt sie noch die Frechheit und lässt uns alle wissen, dass man ihr nichts anhaben kann!»
    «Genauso gut könnte es bedeuten, dass sie sich Gottes Urteil unterwirft. Das wäre doch fromm und sehr angemessen», meinte eine andere Begine.
    «Oder dass ihr ein Unrecht widerfahren ist und Gott für Gerechtigkeit sorgen wird», sagte Jeanne.
    «Ihr werdet schon sehen! Sie wird Ärger machen! Wer weiß, was wir uns da ins Haus geholt haben», murrte Gebba.
    Am selben Abend erschien die Neue im Speisesaal, im geliehenen Kleid. Statt des Schleiers trug sie nur einen einfachen weißen Wimpel, der ihr Gesicht sittsam umrahmte. Die anderen saßen bereits an der langen Tafel. Danielle blieb im Halbdunkel des Flurs stehen und wäre am liebsten
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