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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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gehorsam leer und schlief wieder ein.
    Als sie das nächste Mal aufwachte, war es dunkel und still.Sie schaute in sich selbst hinein, suchte nach Wegmarken: Wer? Bin? Ich? Unbekannt, aber vertraut. Ihre Hände befühlten den Stoff, auf dem sie ruhten: Eine grobe wollene Decke. Sauber. Ein Schutz. Zum ersten Mal – seit wann?– war ihr warm. Ihre Sinne kehrten zurück, einer nach dem anderen. Ihr Magen schmerzte, aber er war nicht mehr leer. Sie hatte etwas zu sich genommen. Sie fühlte sich erfrischt. Jemand musste sie gewaschen haben. Eine Weile genoss sie diese Empfindungen.
    Dann öffnete sie die Augen. Da war ein gelbes Licht, das sie aus den Augenwinkeln wahrnahm. Es bewegte sich, flackerte. Da war ein Atem außerhalb des eigenen Atems. Sie drehte den Kopf. Eine zusammengesunkene Gestalt richtete sich auf, näherte sich. Ein Gesicht beugte sich über sie, eine Frau.
    «So! Wir sind wach», sagte die Gestalt, erhob sich und berührte ihre Stirn mit einer kühlen Hand.
    «Sehr gut! Das Fieber ist gesunken. Morgen wird es dir besser gehen.»
    Ihre Kehle brachte einen raspelnden Ton hervor, der sie selbst überraschte.
    «Nein, nein», sagte die Gestalt, eine lichtumhüllte Silhouette gegen das Kerzenlicht, «versuche nicht zu sprechen. Dafür ist morgen noch Zeit. Schlaf! Hab keine Angst. Du bist unter Freunden.»
    Freunde? Was mag das sein, fragte eine bittere Stimme in ihrem Kopf. Freunde. Ihre Bewacherin, Beschützerin?, hatte es sich wieder auf ihrem Sessel am Bett bequem gemacht und döste. Sie selbst lag mit offenen Augen da und starrte reglos an den Betthimmel. Irgendwann glitt sie in den Schlaf.
    Als sie erneut erwachte, war es Morgen, es musste Morgen sein. Sonne drang durch hohe Fenster mit einem frischen,kühlen Licht, so wie es nur am Morgen ist, ein Licht wie reingefegt. Sie schaute umher und erkannte den Raum als Krankensaal.
    Zwei Frauen in weiten braunen Kleidern liefen geschäftig durch den Saal. Sie trugen Hauben wie Nonnen, doch von keinem Orden, der ihr bekannt war. Die eine schaute etwas verkniffen und besorgt. Die andere war außerordentlich hübsch. Ihre Haut war wie Rahm, die Augen dunkel und lustig, die schwarzen Wimpern dicht und lang, die Lippen so rosig und prall wie eine reife Frucht, und als sie lächelte, entstanden Grübchen in ihren Wangen.
    «So! Hast du dich doch entschlossen, wieder unter die Lebenden zurückzukehren», lachte die Hübsche, als sie an ihr Bett trat. «Wie heißt du denn?»
    «Ich   …», begann sie, stockte, überlegte lange. «Ich weiß es nicht», sagte sie schließlich überrascht. «Es fällt mir gerade nicht ein.» Das war eigenartig! Sie kramte in ihrem Kopf nach einem Namen. Sie hatte doch einen Namen! Ihr Name war   …, aber er ließ sich nicht finden. Ihr Kopf war wie mit Werg ausgestopft.
    «Na, macht nichts», sagte die Hübsche heiter, «ich heiße Magdalène, und die da ist Jeanne, unsere Krankenpflegerin. Weißt du noch, wie du hierhergekommen bist?»
    «Wo ist hier?», fragte sie.
    «Pertuis.»
    «So? Pertuis   …» Sie überlegte eine Weile. «Zu Fuß nehme ich an», sagte sie schließlich.
    Magdalène lachte wieder: «Das will ich gern glauben. Du hast sie dir beinahe durchgelaufen, deine Füße, weißt du? Was hast du denn bloß gemacht, Schwester? Ich habe schon lange niemanden in einem solchen Zustand gesehen! Sogar die Bettler, die ich kenne, passen besser auf sich auf.»
    «Ich war das Betteln nicht gewohnt», sagte sie.
    «Ja, das merkt man. Du hast es nicht sehr geschickt angestellt. Und was hast du vorher gemacht?»
    Sie runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Doch ihr Verstand weigerte sich zu arbeiten. Von innen ganz taub fühlte der Kopf sich an. Erschrocken schaute sie Magdalène an. «Ich weiß es nicht! Ich weiß gar nichts mehr, es ist alles fort!», rief sie und fing an zu weinen.
    «Na, na! Ganz ruhig. Es ist ja alles gut.» Jeanne, die hinzugetreten war, tätschelte ihr die Hand. Vorwurfsvoll wandte sie sich an Magdalène. «Nun löchere sie nicht so, das arme Ding! Der Sturz, der Hunger und das Fieber   … Sie hat einiges hinter sich. Wer würde da nicht durcheinanderkommen?» Und wieder zu der unbekannten Kranken: «Ich bringe dir erst mal was zu essen, dann schläfst du noch ein bisschen, und dann wird’s dir schon wieder einfallen, nach und nach, du wirst sehen!»
    Sie verschwand in Richtung Küche und brachte wenig später eine Schüssel mit dampfender Gemüsesuppe und ein Stück Brot.
    «Da! Meinst du,
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