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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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du kannst das kauen? Oder willst du lieber Brei?»
    Die Fremde schüttelte den Kopf, ergriff die Schüssel und begann sofort, hastig und gierig zu löffeln.
    «Nicht so rasch! Du wirst es nicht bei dir behalten können, wenn du so schlingst», mahnte Magdalène. «Iss langsam. Es nimmt dir keiner weg.»
    Die Frau schaute misstrauisch und umklammerte die Schüssel, dann nickte sie und strengte sich an, langsam zu essen und bedächtig zu kauen. Kaum hatte sie die Schüssel mit dem Brot ausgewischt und den letzten Krümel heruntergeschluckt, da fielen ihr schon wieder die Lider zu. Jeanne nahm ihr vorsichtig Schüssel und Löffel fort. Die beiden Beginen betrachteten die Schlafende.
    «Sie sieht aus wie ein guter Mensch. Ich glaube nicht, dass sie etwas Schlimmes angestellt hat», sagte Jeanne leise.
    «Nein, ich auch nicht», meinte Magdalène. «Bestimmt hat man ihr unrecht getan.»
    Jeanne wies auf die feingliedrigen Hände, die auf der Bettdecke lagen: lange Finger, aber abgebrochene Fingernägel, darunter immer noch Spuren von tief eingedrungenem Schmutz und Blut. «Vielleicht ist sie in Wirklichkeit eine Fürstentochter, die von Räubern entführt wurde. Durch die grausamen Erlebnisse hat sie ihren Verstand verloren. Und wer sie rettet und sie ihren Verwandten wieder zuführt, der wird reich belohnt.»
    «Nun ist es aber gut, Jeanne», lachte Magdalène. «Deine Phantasie geht mit dir durch. Geh du lieber wieder an deine Arbeit. Ich bleibe hier sitzen und passe ein wenig auf deine Fürstentochter auf.»
    In der Nacht hatte der Mistral endlich aufgehört zu heulen, so als hätte er genug Unheil angerichtet. Der Himmel hatte sich wieder in unschuldiges Blau gehüllt. Die Menschen atmeten auf und gingen deutlich besser gelaunt ihren Geschäften nach. Guillaume, der Bäcker, kam und brachte einen Korb frisches weißes Brot aus dreimal gesiebtem Mehl. Als man ihm sagte, dass die Frau sich auf dem Weg der Besserung befinde, zeigte er sich immens erleichtert und eilte sogleich, dem heiligen Nicolas wie versprochen eine Kerze abzuliefern.
    Die Beginen pflegten die Fremde in ihrem Hospital, strichen ihre Wunden mit Schafsfett und Arnika ein, verbanden ihre Füße, gaben ihr reichhaltiges Essen und heißen Holundersaft mit Honig zu trinken. Doch es dauerte volle zwei Wochen, ehe sie das erste Mal wieder aufstehen und ein wenig herumlaufen konnte. Und noch immer wusste sie nichts über sich zu sagen. Dafür machte sie sich imHospital nützlich. Sie scheute keine noch so schmutzige Arbeit. Sie leerte Nachttöpfe, wusch schmutzige Verbände, zerstieß Kräuter im Mörser, rührte Salben, räumte still hinter Jeanne auf, wo Unordnung entstanden war, und ging ihr zur Hand.
    Sie sprach wenig.
    «Kommst du aus dem Süden?», fragte Magdalène. «Du hast einen Akzent wie ein Kaufmann aus Neapel, den ich einmal kannte. Kommst du vielleicht von dort?»
    Sie ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. «Neapel. – Möglich», antwortete sie dann. «Ich erinnere mich nicht.» Da ihre Augen wieder feucht glänzten, ließ Magdalène es dabei bewenden, doch fortan hieß die Fremde bei den Beginen nur noch «die Italienerin», wenn sie mit ihr oder über sie sprachen.
    «Du, Italienerin», sagte eines Morgens Jeanne. «Die Meisterin will mit dir sprechen. Sie erwartet dich im Garten.»
    Die Italienerin legte ihre Arbeit fort, wusch sich die Hände, band sich die Schürze ab und ging hinaus, den langen Gang entlang, vorbei an den Türen des eigentlichen Konvents, die ihr verschlossen waren.
    Sie fand die Meisterin auf einer steinernen Bank sitzend. Juliana war eine Greisin. Ihr Körper wirkte geschrumpft, ihre Haut war dünn und gelblich, die Hände altersfleckig. Aber sie saß kerzengerade. Mit grauen, wachen Augen sah sie ihrem Gast forschend ins Gesicht. Die Unbekannte blieb vor ihr stehen und gab den Blick gelassen zurück.
    Juliana klopfte mit der flachen Hand auf den freien Platz neben sich. Da saßen sie eine kleine Weile schweigend nebeneinander und hörten den Tauben auf dem Dach beim Turteln zu.
    Der Frühling war endlich gekommen, nachdem der Mistral den Himmel geputzt hatte. Die Bohnen waren ausgesätund auch die Saatzwiebeln, der Knoblauch und die Fechser von Pastinaken und Rettich. Die Kräuter schossen auf, die Linsenranken und die nützlichen Blumen des Heilgartens: Ringelblumen und Baldrian, Kamille, Schlafmohn, Schafgarbe und Pfingstrose.
    «Wie ich den Garten um diese Jahreszeit liebe!», sagte Juliana. «Es ist alles so
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