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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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die Menge wie ein Hase. «Na warte, dir ziehe ich das Fell über die Ohren! Ich prügel ihn dir aus, den Appetit auf mein Brot!» Rot vor Wut verfolgte der Bäcker das Kind. Da stellte sich ihm eine Bettlerin in den Weg.
    Der Bäcker holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Ohne einen Laut brach sie zusammen.
    «Lieber Jesus!» Calixtus raffte seine Kutte und rannte zu ihr hin. Schon sammelte sich eine kleine Traube von Schaulustigen um den Bäcker und sein Opfer. Der große, fleischige Kerl sah betroffen auf das Lumpenbündel herab. Sein Blick traf den von Bruder Calixtus. «Ich hab doch gar nicht so stark zugeschlagen!», murmelte er erschrocken.
    Calixtus kniete sich auf das eisige Kopfsteinpflaster. Vorsichtig drehte er die Frau auf den Rücken, hob ihren Kopf an und tätschelte ihre Wange. Ein einziger Faden Blut lief aus ihrer Nase. Ihre Gesichtshaut war weiß und matt wie Wachs. Jetzt, da das zerfetzte Tuch von ihrem Kopf geglitten war, sah man, dass der Schädel von kaum verheilten Brandwunden bedeckt war. Ihr Haar war geschoren worden.
    «Geteert und gefedert!», raunten die Umstehenden. «Eine Hure!», «Eine Verbrecherin!» Der Bäcker rang weiter die Hände: «Ist sie tot, Bruder? Bitte sag, dass sie nicht tot ist! Es war doch nur eine klitzekleine Ohrfeige! Warum hat sie sich auch vor den Dieb gestellt?»
    Der Franziskaner tastete nach der Halsschlagader der ohnmächtigen Frau. Ihr Puls schlug schwach.
    «Sie lebt», sagte er. «Ihr habt Glück gehabt.»
    «Es wär doch nicht schade um so eine!», sagte einer.
    «Es ist schade um jeden Menschen», erwiderte Calixtus ruhig. «Ihr wisst doch gar nichts von ihr.»
    «Man kann sie nicht einfach hier liegen lassen», sagte der Bäcker.
    Calixtus nahm die leblose Frau in seine Arme und richtete sich auf. Sie war groß für eine Frau und hatte kräftige Knochen. Er wunderte sich darüber, wie leicht sie war. «Am besten ich bringe sie in die Charité zu den Beginen», sagte er. Die Menge der Schaulustigen teilte sich vor ihm. Mit seiner Last auf den Armen schlug er den kurzen Weg zur Rue Courtrasse, der Hahnengasse ein, wo die mildtätigen Frauen ein kleines Hospital betrieben. Der Bäcker lief hinter ihm her: «Ach, wenn ihr doch nur nichts geschehen ist! Der verfluchte Wind ist schuld! Der kann aber auch den Sanftmütigsten verrückt machen. Tag und Nacht das Gejaule!»
    «Beschuldige nicht den Wind, Meister Guillaume! Mäßigtlieber Euer böses Temperament!», mahnte der Mönch. «Wie kann so ein großer, kräftiger Kerl nur eine schwache Frau schlagen!»
    «Aber ich tu doch sonst keiner Fliege was», jammerte der fette Guillaume. «Wenn sie doch nur aufwachen würde! Heiliger Nicolas! Ich spende eine extra große Kerze aus reinem Bienenwachs! Lass mich nur nicht zum Mörder werden!»
    «Nun sei endlich still. Sie wird schon wieder zu sich kommen», versetzte Calixtus schließlich ungeduldig. «Da ist nichts, was ein Bett und ein paar warme Mahlzeiten nicht richten könnten.»
    Sie waren schließlich am Beginenhof Sainte Douceline angelangt. Er hatte nur eine schmale Front zur Straße hin, die eine massive Tür aus Eichenholz fast ganz einnahm. In Augenhöhe befand sich ein winziges vergittertes Fensterchen. Calixtus betätigte den Türklopfer. Das hallende Geräusch ließ einen weiten Raum hinter der Tür erahnen.
    Schritte näherten sich. Das Fensterchen in der Tür wurde geöffnet. Eine kurze Pause, dann hörte man, wie innen ein schwerer Balken zur Seite geschoben wurde. Eine Frau im braunen Habit schaute aus dem Türspalt heraus.
    «Bruder Calixtus. Was ist geschehen? Wen bringst du denn da?», fragte sie.
    «Eine verletzte Frau, einen Fall für euer Hospital! Sie wurde   …», er warf einen Blick auf den Bäcker, der sichtlich schrumpfte, soweit das bei seiner Körpermasse überhaupt möglich war. «Sie ist auf dem Markt ohnmächtig zusammengebrochen und will nicht wieder aufwachen.»
    Die Begine zog die Tür weit auf und ließ den Mönch passieren.
    «Du kennst ja den Weg», sagte sie. Der Bäcker versuchte sich hineinzudrängen, aber sie schob ihn hinaus. «Geh nach Hause, Guillaume, du stehst uns doch nur im Weg herum.»
    «Aber ich   …»
    «Komm morgen und erkundige dich nach ihr, wenn du willst.» Damit ließ sie die Tür ins Schloss fallen, und der Bäcker fand sich allein in der Gasse wieder. Bedrückt machte er sich davon.
    Drinnen schritt die Begine vor dem Mönch her. Hinter der schmalen Front und dem Torhaus öffnete
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