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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel
Autoren: Elisabeth Klee
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wieder umgekehrt. Da waren so viele Fremde beisammen. Sie spürte die Gemeinschaft, die diese Frauen verband. Unwillkürlich tat sie einen Schritt zurück, doch man hatte sie schon entdeckt. Sofort erstarben die Gespräche. Alle Gesichter wandten sich ihr zu, ein Dutzend blasse Ovale im Kerzenlicht.
    Juliana stand auf, mit der Bibel in der Hand. «Komm, Danielle! Nun tu, was wir besprochen haben. Komm, nur nicht so langsam! Lass deine Schwestern nicht warten!»
    Danielle machte zwei Schritte in den Raum hinein und fühlte sich linkisch und bloß. Neugierige Augen musterten sie. Köpfe steckten zusammen und tuschelten. Aber Juliana winkte ihr und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. Das Gemurmel verstummte. «Dies ist eure neue Schwester Danielle.» Ihre Stimme klang überraschend kräftig und durchdringend für eine so kleine Person. «Sie ist auf Probe bei uns, und ich erwarte von euch allen, dass ihr sie aufnehmt als Schwester in der Liebe Gottes, dass ihr sie freundlich aufnehmt in unsere Gemeinschaft, dass ihr Danielle helft, wenn sie der Hilfe bedarf, sie offen zur Rede stellt, wenn sie einen Fehler begeht und es nicht gegen sie verwendet. Keine soll sich über sie stellen oder besser dünken. Ihr sollt sie lieben und auf dem rechten Weg unterstützen, so wie es Jesus mit den Seinen getan hat, wenn sie auch schwache Menschen waren.»
    Danielle trat vor mit einer irdenen Schüssel und einem Krug Wasser. Umständlich kniete sie sich vor die Begine, die zunächst in der Bank saß, und stellte die Schüssel vor ihr auf den Boden. Beim Eingießen des Wassers verschüttete sie etwas davon.
    «Gib doch acht, du ungeschicktes Ding!», zischte Gebba und zog den Saum ihres Rocks in die Höhe.
    «Verzeih, Schwester», murmelte Danielle. Sie wusch ihr die Füße und trocknete sie mit einem alten Tuch. Und so ging sie mit ihrer Schüssel von einer zur anderen. Jede von ihnen bedankte sich bei ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Zum Abschluss las Juliana eine Passage aus der Bibel, segnete Danielle und hängte ihr ein hölzernes Kreuz am Lederband um den Hals, so wie sie alle eines trugen.
    Kaum dass diese feierlichen Formalitäten erledigt waren, begann plötzlich ein lautes Schwatzen und Lachen am Tisch. Danielle schaute verwirrt um sich. Sie hatte erwartet, dass es hier still und mit Dekorum zuginge. Stattdessen benahmen sich ihre «Schwestern in Gott» wie ein Haufen – na, eben ganz normaler Weiber.
    «Danielle! Hierher!», hörte sie jemanden rufen. Es war Magdalène, die ihr einen Platz am unteren Ende der Tafel freigehalten hatte. Sie setzte sich auf die lange Holzbank neben sie.
    «Ich freu mich, dass du bleibst! Du wirst sehen: Es ist gut hier», flüsterte sie ihr zu. «Man kann nicht immer machen, was einem passt, und muss viel beten, aber sonst ist es ganz lustig!» Sie langte mit ihrem Holzlöffel in die allgemeine Schüssel und häufte sich gedünstetes Gemüse und Speck auf ein dickes Stück Brot, das ihr als Teller diente. Eine ebensolche Scheibe war vor Danielle auf dem Tisch gelandet.
    «Da! Greif zu! Sonst essen dir die anderen alles weg! Und zum Nachtisch gibt es heute Ingwerkuchen, weil wir deine Aufnahme feiern! Los doch!», ermunterte Magdalène sie. Und dann ging sie unmittelbar dazu über, ihr lauthals und mit vollem Mund die anderen Beginen vorzustellen:
    «Die Dicke da, das ist Manon. Das ist unsere beste Weberin, aber sie isst so gerne Süßigkeiten, dass sie eines Tages nicht mehr hinter den Webstuhl passen wird!»
    Manon lachte und beklopfte sich den stattlichen Wanst: «Mir schmeckt’s eben.»
    «Und die Kleine da   …», Magdalène wies auf ein winziges, feingliedriges Weiblein mit flinken Vogelaugen, das sich zuletzt an den Tisch gesetzt hatte, «…   ist Annik. Sie ist für die Küche zuständig. Da ist sie die Meisterin. Wir anderen werden ihr reihum als Helferinnen zugeteilt. Ich mache dasganz gern, vor allem im Winter. In der Küche ist es warm, und die Arbeit ist nicht so anstrengend. – Da ist Renata, die kümmert sich hauptsächlich um unsere Tiere. Sie geht schon fast auf allen vieren! Wir haben übrigens zwei Maultiere, fünf Ziegen, ein paar Hühner und ein paar Schweinchen zum Mästen.» Dann etwas leiser: «Und die da, die ihre Nase so hoch trägt, das ist Gebba. Sie ist eine reiche Witwe und hat sich hierher geflüchtet, weil ihre Söhne ihr das Geld abknöpfen und sie auf die Straße setzen wollten!» Magdalène kicherte. «Drei Jahre hintereinander hat
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