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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax
Autoren: Paul Torday
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Paul Torday
     
    BORDEAUX
     
    Ein Roman in 4 Jahrgängen
     
    Aus dem Englischen von Thomas Stegers
     
    Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
     
    The Irresistible Inheritance of Wilberforce - A Novel in Four Vintages
     
     
    Wilberforces Blick ging zur Decke,
so dass er anscheinend nicht merkte, wie das volle Glas an seine Lippen kam und
das leere wieder hinunter.
    William Makepeace Thackeray, Jahrmarkt der Eitelkeit
     
    2006
     
    1
     
    Ich war zu hastig aus dem Taxi ausgestiegen. Auf den Fersen schaukelte ich
nach hinten, um mich wieder zu fangen, und stellte fest, dass es am besten war,
mich ans Taxi zu lehnen und nach oben zu gucken, wenn ich mein Gleichgewicht
wiedererlangen wollte. Der Himmel war schwarz und undurchdringlich, einige
Sterne funkelten, aber ich konnte nicht mehr so viele erkennen wie früher.
Einmal den Blick gehoben, fiel es mir schwer, ihn wieder zu senken.
    »Ist alles in Ordnung, mein Herr?«,
fragte der Fahrer. Ein jüngerer Mann hätte mich wahrscheinlich beschimpft,
weil ich gegen sein Taxi gestoßen war; dieser Mann entstammte einem Zeitalter,
in dem Taxifahrer noch Droschkenkutscher hießen und Kunden mit »mein Herr« oder
gar »gnädiger Herr« angeredet wurden.
    Alles in Ordnung? Gute Frage. Nicht
so leicht zu beantworten. Es erforderte einige Überlegungen, bevor ich darauf
etwas erwidern konnte. Ich sah auf zum Sternenhimmel und dachte über die Frage
nach.
    »Das macht fünfzehn Pfund, mein
Herr«, sagte der Fahrer.
    Mir wurde bewusst, dass ich ihm eine
Antwort schuldig geblieben war. Ich zog einige Scheine aus einem Bündel, das
ich in einer Geldklammer aufbewahrte, und bezahlte ihm irgendeine Summe. Ich
weiß nicht mehr, wie viel es war, aber der Mann schien damit zufrieden.
    »Alles Gute für Sie, gnädiger Herr«,
sagte er und fuhr davon.
    Ich schaukelte wieder auf den
Fersen, ein angenehmes Gefühl. Noch einmal bekam ich ein Stück vom Nachthimmel
zu sehen und, als mein Gewicht sich wieder auf die Zehen verlagerte, ein Stück
der Fassade des Restaurants vor mir. Ein kleines diskretes Schild zeigte »Les
Tripes de Normandie« an, ein sehr gut gehendes Restaurant, wie ich gehört
hatte. Ich war noch nie dort gewesen. Ich ging nicht gerne zweimal in das
gleiche Lokal, es sei denn, es war wirklich ausgezeichnet. Neuerdings gab es
immer Ärger, wenn ich ein Restaurant aufsuchte, in dem ich schon mal gegessen
hatte. Das Schild gefiel mir. Die Schrifttype war vermutlich Arial, und die Beleuchtung
war raffiniert, die Zeichen aus Neonröhren, in einem gebrochenen Weiß, fast
cremefarben, vor einem polierten schwarzen Marmorband.
    Angeblich war der Küchenchef
hervorragend. Er hatte ein Menü kreiert, das auf ländlichen französischen
Gerichten basierte und sie zur Kunstform erhob. Er trat in zahlreichen Kochshows
im Fernsehen auf, das Publikum verehrte und bewunderte ihn. Ich zitiere hier
nur aus der Website, die Küche eines Restaurants interessiert mich eigentlich
gar nicht. Es ist die Weinliste, der meine Aufmerksamkeit gilt. Als ich die
Website von »Les Tripes« aufrief, hatte ich gleich als Erstes die Weinliste
angeklickt und entdeckt, dass sie einen 82er Château Petrus anbot. Wie das
Wetter in Westfrankreich zu der Zeit war, weiß ich nicht, aber ich hatte etwas
darüber gelesen. Das Frühjahr war kühl, darauf folgte ein warmer Sommer, der
sich bis in den September hinzog: endlose Sonnentage, wenig Regen. Die
Bedingungen für die Weinberge bei Bordeaux waren in diesem Jahr ideal. Der 82er
ist daher ein Jahrgang, der scheinbar ewig währte. Er ist ein Klassiker. Kein
Wunder, dass es immer schwieriger wird, ihn aufzutreiben.
    Einen 82er Petrus auf der Weinkarte,
das ist, als hätte man einen Diamanten auf der Straße gefunden. Die Rebfläche
des Weinguts beträgt nur 11,3 Hektar, jährlich werden etwa 25 000 Flaschen produziert.
Die Trauben werden gelesen, vierundzwanzig Tage lang vergärt und anschließend
in Betontanks mazeriert. Danach lässt man den jungen Wein zwanzig Monate in
Eichenfässern heranreifen, bevor er in Flaschen abgefüllt wird. Jetzt braucht
man nur noch fünfzehn bis zwanzig Jahre zu warten, bis man ihn trinken kann.
Selten stößt man heute auf einen 82er Petrus oder auf einen der früheren
Jahrgänge, doch wenn man irgendwo eine Flasche aufgetrieben hat, sollte man
die Gelegenheit nutzen. Der Wein ist nicht billig, auf der Website des
Restaurants wurde die Flasche für 3000 Pfund angeboten; aber für einen
passionierten Weintrinker, hat
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