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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers
Autoren: Dean R. Koontz
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12. August
1
    Schon vor den Ereignissen im Supermarkt hätte Jim Ironheart wissen müssen, daß sich Probleme ankündigten. Während der Nacht träumte er, von einem Schwärm großer schwarzer Vögel über ein Feld gejagt zu werden. Sie kreischten um ihn herum, schlugen mit den Flügeln, trafen ihn mit krummen, skalpellscharfen Schnäbeln. Als er erwachte, litt er an Atemnot und trat in der Schlafanzughose auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen. Doch um halb zehn morgens betrug die Temperatur bereits mehr als dreißig Grad, und dadurch verstärkte sich Jims Gefühl, langsam zu ersticken.
    Er duschte lange, rasierte sich, und danach ging es ihm besser.
    Der Kühlschrank enthielt nur einen zerlaufenen Sara-Lee-Kuchen. Er sah aus wie die Laborkultur einer neuen und besonders virulenten Form von Botulinusbazillen. Jim überlegte - entweder verhungerte er, oder er wagte sich nach draußen in die Backofenhitze.
    Der Augusttag war so heiß, daß die Vögel - sie gehörten nicht zu seinem düsteren Alptraum schattenspendende Bäume den glühenden Weiten des südkalifornischen Himmels vorzogen. Reglos hockten sie auf Zweigen und Ästen, zwitscherten nur gelegentlich und ohne große Begeisterung. Hunde liefen katzenflink über Bürgersteige, die sich in Backbleche verwandelt zu haben schienen. Die Passanten blieben nicht stehen, um festzustellen, ob man Eier auf dem Beton braten könnte; niemand zweifelte daran.
    Jim frühstückte unter dem Sonnenschirm eines Strandcafes in Laguna Beach, und anschließend fühlte er sich kräftiger. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn. Es war einer jener seltenen Tage, an denen nicht einmal eine leichte Brise vom Pazifik wehte.
    Vom Café aus begab er sich zum Supermarkt, der ihm zunächst wie ein Paradies vorkam. Er trug nur eine weiße Baumwollhose und ein blaues T-Shirt und genoß den kalten Luftstrom aus den Gittern der Klimaanlage, die Frische der langen Kühlvitrinen.
    In der Süßwarenabteilung verglich Jim die Ingredienzen von Makronen und AnanasKokosnuß-Mandel-Riegeln. Er versuchte herauszufinden, was die geringere diätetische Sünde war, als die plötzliche Veränderung begann. Es handelte sich nicht um einen sehr schlimmen Anfall: Es gab weder heftige Zuckungen noch schmerzhafte Muskelkrämpfe. Er brach nicht in Schweiß aus und formulierte keine Worte in fremden Sprachen - doch er wandte sich abrupt einer mehrere Meter entfernt stehenden Kundin zu und sagte. »Rettungsleine.«
    Die Frau mochte etwa dreißig sein, trug Shorts und ein rückenfreies Oberteil. Sie wirkte attraktiv genug, um viele Annäherungsversuche von Männern erlebt zu haben, und vielleicht glaubte sie, daß er eine Chance suchte. Sie bedachte ihn also mit einem wachsamen Blick. »Wie bitte?«
    Laß dich treiben, dachte Jim. Hab’ keine Angst.
    Er zitterte, und das lag nicht etwa an der Kühle im Supermarkt. Der Grund war eine innere Kälte, etwas Frostiges, das wie ein Aal in ihm hochkroch. Seine Hände erschlafften, und er ließ eine Schachtel mit Keksen fallen.
    Verlegenheit erfaßte ihn, aber er hatte keine Kontrolle über sich. »Rettungsleine«, wiederholte er.
    »Ich verstehe nicht«, sagte die Frau.
    »Ich auch nicht«, erwiderte er, obwohl so etwas schon mehrmals geschehen war.
    Die Kundin hob ein Päckchen mit Vanillewaffeln hoch und schien es als Wurfgeschoß verwenden zu wollen. Vielleicht sah sie schon eine Schlagzeile vor sich: AMOKLÄUFER ERSCHOSS SECHS PERSONEN IM SUPERMARKT. Trotzdem war sie genug barmherzige Samariterin, um zu fragen: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Jim stellte sich sein leichenhaft blasses Gesicht vor. Er hatte das Gefühl, als sei ihm das Blut aus den Wangen gewichen.
    Er versuchte, beruhigend zu lächeln, doch es wurde eine Grimasse daraus. »Muß gehen«, kam es von seinen Lippen.
    Er ließ den Einkaufswagen stehen, verließ den Supermarkt und trat in die sengende Augusthitze. Ein Temperaturunterschied von fast zwanzig Grad raubte ihm den Atem. Der dunkle Asphalt auf dem Parkplatz war an einigen Stellen weich und klebrig geworden. Greller Sonnenschein verlieh den Windschutzscheiben der Autos einen silbrigen Glanz und spiegelte sich fast funkenstiebend auf Stoßstangen aus Chrom und Kühlerverzierungen wider.
    Jim schritt zu seinem Ford. Der Wagen verfügte über eine Klimaanlage, aber sie kämpfte vergeblich gegen die Hitze an. Der Luftzug aus den Belüftungsschlitzen im Armaturenbrett blieb warm und konnte nur dann als erfrischend bezeichnet
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