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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers
Autoren: Dean R. Koontz
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dümmere Welt besser sein könne. In Wirklichkeit fragte sie sich fast verzweifelt, was für einen Artikel sie schreiben sollte. Sie fand Louise Tarvohl so grotesk, daß sie sich außerstande sah, wohlwollende Worte für sie und ihr Werk zu finden und gleichzeitig an ihrer Integrität festzuhalten. Aber es war ihr auch unmöglich, Louise ganz offen als Spinnerin zu entlarven. Hollys Problem bestand nicht etwa in einem hartnäckigen Zynismus - sie hatte schlicht und einfach ein zu weiches Herz. Kein lebendes Wesen auf der Erde litt mehr an Frustrationen und Unzufriedenheit als ein bitterer Zyniker, der tief in seinem Innern Mitleid empfand.
    Sie ließ den Kugelschreiber sinken und beschloß, sich keine Notizen zu machen. Eigentlich verspürte sie nur noch den Wunsch, Louise und den Schulhof zu verlassen, in die reale Welt zurückzukehren - obgleich ihr jene reale Welt nur geringfügig weniger verrückt erschien als die Dichterin. Aber sie schuldete Tom Corvey wenigstens sechzig oder neunzig Minuten eines aufgezeichneten Interviews; dann bekam ein anderer Reporter genug Material, um etwas zu schreiben.
    »Louise«, sagte sie langsam. »Angesichts Ihrer bisherigen Ausführungen halte ich Sie für die natürlichste Person, der ich jemals begegnet bin.«
    Louise interpretierte diese Bemerkung nicht etwa als einen Affront, sondern verstand sie als Kompliment. Sie strahlte übers ganze Gesicht.
    »Bäume sind unsere Schwestern«, erklärte die Dichterin, versessen darauf, einen weiteren Aspekt ihrer Philosophie zu enthüllen. Anscheinend hatte sie vergessen, daß Menschen Läuse waren und keine Bäume. »Würden Sie Ihrer Schwester ein Glied abhacken, ihr Fleisch zerreißen und aus den Leichenteilen ein Haus bauen?«
    »Nein, ich glaube nicht«, antwortete Holly aufrichtig. »Außerdem: Ich bezweifle, ob die Stadtverwaltung Baugenehmigungen für derart ungewöhnliche Gebäude erteilt.«
    Holly ging kein Risiko ein. Louise hatte nicht den geringsten Sinn für Humor, und daher fehlte ihr die Fähigkeit, sich von Witzeleien beleidigen zu lassen.
    Die Dichterin plapperte weiter. Holly stützte die Ellenbogen auf den Picknicktisch und gab sich interessiert, während sie an ihr bisheriges Leben als Erwachsene dachte. Den größten Teil dieser kostbaren Zeit hatte sie in der Gesellschaft von Idioten, Narren und Übergeschnappten verbracht, sich ihre verrückten oder soziopathischen Pläne und Träume angehört und vergeblich nach einem Körnchen Weisheit in den einfältigen, psychotischen Geschichten gesucht.
    Niedergeschlagen grübelte Holly über ihr persönliches Leben nach. Sie hatte sich nicht bemüht, gute Freundinnen in Portland zu finden vielleicht weil sie glaubte, diese Stadt sei nur eine weitere Zwischenstation auf ihrer langen journalistischen Reise. Ihre Erfahrungen mit Männern waren noch entmutigender als die beruflichen Erlebnisse mit Interviewpartnern beider Geschlechter. Zwar hoffte sie noch immer, eines Tages zu heiraten, Kinder zu bekommen und einen familiären Haushalt zu führen, aber sie fragte sich, ob sie jemals einen netten, anständigen, intelligenten und wirklich interessanten Mann kennenlernen würde.
    Wahrscheinlich nicht.
    Und wenn tatsächlich ein Wunder geschah und ein solcher Mann ihren Lebenspfad kreuzte … Vermutlich war sein angenehmes, freundliches Gebaren nur eine Maske, hinter der sich ein Lustmörder verbarg, der Kettensägen liebte.

3
    Jim Ironheart verließ den Portland International Airport und stieg in ein Taxi der New Rose Gab Company. Der Name deutete darauf hin, daß es sich um ein Überbleibsel der längst vergessenen Hippie-Epoche handelte; vielleicht war die Gesellschaft in den Jahren der freien Liebe und des Flower Power gegründet worden. Doch der Fahrer - auf der Zulassungskarte stand der Name Frazier Tooley - erklärte, Portland gelte als Stadt der Rosen, die überall blühten und Erneuerung und Wachstum symbolisierten. »Auf die gleiche Weise sind Straßenbettler Symbole für den Zerfall und Ruin in New York«, sagte der Mann mit einer charmanten Selbstgefälligkeit, die für viele Portlander typisch war.
    Tooley sah aus wie ein italienischer Operntenor in der Art von Luciano Pavarotti und runzelte verwirrt die Stirn, als Jim seine Frage nach dem Fahrtziel beantwortete.
    »Ich soll einfach nur eine Weile herumfahren?«
    »Ja. Ich möchte mir die Stadt ansehen, bevor ich das Hotel aufsuche. Bin zum erstenmal hier.«
    Die Wahrheit lautete: Er hatte noch gar kein Hotel
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