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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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nichts mehr, außer daß ich jetzt genau weiß, daß Michael mich die ganzen Jahre über belogen hat. Er hat immer schon alles von Nicolai gewußt.
***
    Als ich das Drehen des Schlüssels in der Haustür höre, ist es zu spät. Der Inhalt der Pappboxen liegt über den ganzen Boden von Michaels Büro verstreut. Mechanisch und unkoordiniert greife ich nach den Blättern, Fotos und Plänen und versuche, alles in die Schachteln zu stopfen. Es dauert eine halbe Minute, dann fällt ein langer Schatten in das Licht der Stehlampe.
    „Hast du gefunden, wonach du suchst?“
    Der Mann, der vor mir steht, kann nicht Michael sein. Nie habe ich ihn so gesehen, und ich kenne viele Seiten an ihm, und bis zu dieser Nacht habe ich mir gedacht, ich würde sie alle kennen. Aber nun merke ich, daß ich von einer nichts wußte. Über seiner linken Brusthälfte, in einem braunen Lederholster, steckt eine große schwarze Pistole. Er trägt schwarze, enganliegende Sporthosen und einen schwarzen Rollkragenpullover. An seinem rechten Bein ist ein langes, dünnes Messer festgeschnallt. Sein Kopf ist überall von blutig überkrusteten Wunden bedeckt. Wangen und Stirn, die Ohren und ein Auge sind unter gelbblauen Blutergüssen kaum zu erkennen. Er sieht aus, als hätte er seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Alles, was jetzt geschieht, läuft wie in einem Film ohne Ton vor meinem Auge ab. Ich sehe, wie Michael langsam mit seiner rechten Hand den Druckknopf des Holsters öffnet und genauso langsam die Pistole herauszieht. Dann schiebt er mit dem Daumen einen winzigen Stift an der Seite der Pistole zurück, dabei ist ein ganz leiser Klick zu hören.
    „Was machst du?“
    Er kommt Schritt um Schritt näher, spricht aber kein Wort dabei. Er hält die Pistole nun in der rechten Hand und zieht mit der linken das bewegliche Oberteil der Waffe vor und zurück. Irgendwas in der Pistole rastet hörbar ein. Ich weiche einen Schritt zurück und taste mit meinen Händen nach der Kante des Schreibtisches hinter mir.
    „Michael, ich ...“
    „Was hast du hier zu suchen?“
    „Michael, tu die Waffe weg.“
    Aber er nimmt sie nicht weg. Er schiebt den Lauf immer näher an mein Gesicht, bis die Mündung meine Lippen berührt. Er drückt mir die Pistole zwischen den Zähnen hindurch, bis ich das Mündungsloch in meiner Kehle spüre und husten muß. Ich schmecke Metall, Schwefel und Verbranntes im Mund. Ich würge wie verrückt. Wenn ich die Waffe noch einen Augenblick länger in meinem Mund spüre, dann kotze ich mich und ihn von oben bis unten voll. Endlich zieht er die Pistole aus meinem Mund und steckt sie zurück in das Holster. Ich fange an zu heulen, ich huste, heule und huste, der Rotz kommt mir aus Mund und Nase heraus. Es schüttelt mich von oben bis unten. Ich rutsche an der Kante des Schreibtisches hinunter und heule auf dem Boden sitzend weiter.
    Michael sieht mir zu, sagt und tut aber nichts. Schließlich kommt er auf mich zu, ballt seine Rechte zur Faust, hält sie mir vor das Gesicht und schreit: „Was hat du hier zu suchen? Das ist mein Büro, das sind meine Sachen, da hast du nichts verloren.“
    Ich lasse ihn schreien, bis er wieder zu sich kommt. So wie er aussieht, kann er nicht mehr lange schreien. Seltsamerweise beruhigt mich sein Geschrei. Endlich wieder der vertraute Michael. Er hört schlagartig auf und nimmt mit einer Hand einen Stoß Papiere, die auf dem Boden liegen, hebt sie hoch und läßt sie wieder fallen.
    „Was sucht du hier?“
    „Wo warst du?“
    Er packt die Flasche Portwein und nimmt einen tiefen Schluck.
    „In Leipzig“
    „Was hast du da getan? Warum siehst du so aus?“
    „Wir haben den Abschluß fertiggemacht.“
    „Und dabei bist du gleich über mehrere Ordner gestolpert, oder was? Die Sache mit der Immobilienfirma ist seit Wochen abgeschlossen. Ich weiß Bescheid.“
    „Was hab ich dann getan, wenn du alles so genau weißt?“
    „Du hast Nicolai umgebracht.“
    Wieder ein Schluck aus der Flasche.
    „Woher willst du denn wissen, daß ich ihn umgebracht habe? Vielleicht haben wir uns nur ein bißchen unterhalten, rauh aber herzlich, ganz unter Männern. Und vielleicht ist er dabei unglücklich gestürzt und hat sich den Kopf aufgeschlagen. So was passiert.“
    „Du hältst mich wohl für total bescheuert, was? Du hast doch nicht jahrelang wie ein Verrückter Laufen und Schießen trainiert, nur weil du mit ihm reden wolltest. So wie du aussiehst, kann das doch nur heißen, daß er tot ist. Gegen dich kann
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