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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zurückgelassen, nun funkelten sie wie ungezählte Diamanten. Die Blätter der Sträucher am Weg wirkten, als seien sie gerade mit frischem Lack überzogen worden, und oben am Himmel zog wieder der Habicht seine Kreise …
    Auf der rechten Seite, etwas unterhalb des Weges, erhob sich auf einem Fundament aus Bruchsteinen ein altes, verwittertes Holzgebäude, das einst als Schafstall gedient hatte. Der Messener-Bauer, hatte ihr Ludwig erklärt, lasse sein Winterreisig dort trocknen.
    Die Treppe und der kleine Weg, der zum Schafstall führte, waren mit hohem Gras überwachsen.
    Isabella wußte nicht, was sie veranlaßte, stehenzubleiben. Es waren nicht mehr als zehn Meter, und sie konnte die Steine sehen, mit denen man die Dachschindeln beschwert hatte. Warum betrachtete sie diese Hütte, als habe sie sie noch nie gesehen? Doch war in ihr kein Verdacht, keine Vermutung, aber auch kein Grund, zu verharren …
    Gerade wollte sie weitergehen, als sie das Geräusch vernahm – das ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.
    Das war doch …? Nur ein Tier in Todesnot konnte diese schrecklich hohe Klage ausstoßen … nur ein Tier! – Eine Katze vielleicht? Lieber Gott, was war das …?
    Sie begann zu laufen, den Weg hinunter, übersah den Stein, den das Gras verbarg, schlug hin, versuchte sich trotz der Schmerzen in ihrem Knie wieder hochzustemmen, schaffte es auch und hinkte weiter.
    Und da war es wieder, dieses Mal ganz nah, und Isabella wußte: Das ist kein Tier … o nein!
    In ihrem Knie brannte es wie Feuer, ihr Körper war so schwer geworden, daß sie kaum den Arm heben konnte, aber sie zog an dem Griff, der an der Tür befestigt war – riß nochmals und hatte sie offen … Licht brach in den Raum, klares, helles Sonnenlicht verscheuchte die Dunkelheit und zeigte ihr erbarmungslos eine Bühne des Horrors.
    Ludwig!
    Dachte sie es, schrie sie es …? – Nein, sie brachte keinen Ton hervor, als alles einstürzte, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hatte.
    Sie sah diesen schrecklichen Rücken vor sich, wie ein Bogen war er gespannt, sah die zurückgeschobenen Röcke des Mädchens und die in wildem, verzweifeltem Kampf auf und ab zuckenden weißen Schenkel, sah Annas zur Seite gedrehtes, dunkel anlaufendes Gesicht und ihren Hals, um den sich seine Fäuste geschlossen hatten.
    »Ludwig!«
    Nun schrie sie … Sie mußte doch etwas tun, doch ihr Körper versagte jeden Dienst, sie war nicht mehr sie selber, es gab keine Gedanken, es gab keine Nervenimpulse und keine Muskeln, die ihnen folgten, es gab nur noch den grauenhaften, röchelnden Ton, der aus Annas Kehle drang. – Verzweifelt blickte sie um sich: Nichts als Steinmauern und dünnes Reisigholz – kein Scheit, mit dem sie zuschlagen konnte, nichts … Doch – in der Ecke erkannte sie eine hochragende Stange!
    Isabella wußte nicht, was es war, blind griff sie danach und spürte, wie in derselben Sekunde, als ihre Hände das schwere, runde Holz der Heugabel umklammerten, ihre Kraft zurückkam – eine unbändige, nie gekannte Energie. Schon hielt sie die Gabel hoch über ihrem Kopf, mit beiden Händen hatte sie sie umfaßt, sah die fünf im Licht auffunkelnden Zinken, stieß sie blitzschnell nach unten, riß sie zurück und stieß sie nochmals tief in den gekrümmten Rücken – den Rücken des Mörders!
    Nur einmal bäumte er sich auf, dann durchlief ihn ein nicht enden wollendes Zucken – doch das Schreckliche war: röchelnd, den Tod im Leib, ließen seine Hände nicht los, würgten, würgten …
    »Ludwig!« schluchzte Isabella …
    Sie lag am Boden, flüsterte sinnlose Worte und sah das Blut auf sich zufließen – all dieses Blut, grellrot und glitzernd … Und hörte den Schrei. Er war kaum zu ertragen, aber es war Anna, die schrie. Sie hatte sich befreit. Sie schrie und rannte zur Tür.
    Isabella blieb liegen und blickte auf die dunkler werdende Lache. Warum nur, dachte sie, warum … Die Wahrheit, dachte sie, du hast sie gesucht – jetzt, jetzt weißt du es: Die Wahrheit findest du in diesem Blut …
    Irgendwann berührte sie eine Hand, irgendeine Stimme sagte: »Frau Doktor …« Sie sah in das hagere, erstarrte Gesicht Jakob Messeners …
    Er griff nach ihrer Schulter. Sie schlug nach ihm, und er wich erschrocken zurück: »Frau Doktor!«
    »Frau Doktor«, hörte sie sich schreien. Hörte die eigenen Worte wie die einer Fremden: »Ihre Prognose, Frau Doktor …? Die Wahrheit …! Die Wahrheit … die Wahrheit …! Sagt sie mir doch! – Bitte,
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