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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zeigefinger. »Komm, geh schlafen. Morgen werden wir arbeiten.«
    »Schon? Bitte – nicht gleich. Außerdem: Ich muß dem Messener helfen … Ich fahr' doch den Traktor …«
    »Schön, dann übermorgen.«
    Er hatte ja recht, es war nicht eilig. Sie konnten später beginnen. Was bedeutete schon morgen, übermorgen?
    »Geh schlafen, Ludwig.«
    Er nickte folgsam, ließ die Schultern hängen und verschwand. Sie sah, wie sich die Tür hinter ihm schloß, und in ihr war nichts als ein großes Gefühl von dankbarer Zuversicht: Wir werden das schon schaffen …
    Ein wunderschöner Trockenstrauß auf einer alten Bauerntruhe, schwarze Deckenbalken, weißverschlämmte Wände und ein Leinenvorhang, der sich sanft im Wind hin und her bewegte? – Wie sollte Isa wissen, wo sie sich befand?
    Doch das änderte sich schlagartig, als sie Schritte die Treppe hochpoltern hörte und ihr, noch ehe sich die Tür öffnete, der Duft von Kaffee in die Nase stieg.
    Jetzt war die Tür offen – und da stand er, grinste sie über einen Berg von Aufschnitt, Käse und Marmelade an und deutete mit der Nase stolz auf die bauchige, blauemaillierte Kaffeekanne.
    »Einen schönen Morgen! – Und damit dir das gleich klar ist: Das ist schon der zweite Kaffee.«
    »Warum?«
    Sie warf verwirrt einen Blick auf ihre Uhr: 11 Uhr 20 … Herrgott, das waren gute dreizehn Stunden Schlaf.
    »Weil ich schon mal hier war – um halb zehn.«
    Er zog einen Stuhl heran, stellte das Tablett darauf und setzte sich auf die Bettkante. Der Perückenrand hatte sich ein wenig verschoben und mit ihm die ganze Haarlinie, was ihm ein noch fröhlicheres Aussehen gab als zuvor.
    »Fang schon an! Ich gieß' mal die Tassen voll – ich hab' mir auch eine mitgebracht …«
    Sie fing an, ja … Sie spürte einen Heißhunger wie selten in ihrem Leben. Und Ludwig Ladowsky sah ihr dabei zu, lächelte geradezu väterlich-gütig und legte die Hand auf ihre bloße Schulter. Sie ließ sie dort liegen. Irgendwie gehörte sie dort hin, zumindest an diesem Morgen …
    »Und jetzt?« fragte sie, nachdem sie den letzten Rest Waldhimbeermarmelade mit dem letzten Schluck Kaffee hinuntergespült hatte.
    »Und jetzt zeig' ich dir alles, Isa.«
    »Was zeigst du mir?«
    »Die Welt!« Er machte eine großspurige Bewegung zum Fenster hin. »Die Welt vom Kofler- und Messener-Hof, die Welt vom Schafbach-Haus, ach was, die ganze Welt …«
    Sie nickte so feierlich, wie er gesprochen hatte.
    »Okay … Jawohl, das tust du!«
    »Und bei der Schwandwarte fangen wir an.«
    »Was ist denn das?«
    »Eine Superweide. Die ganzen Kühe sind dort oben. Und vor allem mein bester Freund.«
    »Schon wieder ein Freund?«
    »Ja. Und der Schönste …«
    Und schön, das war er, Ludwig hatte recht: Sie waren am Waldrand stehengeblieben, und Isa blickte gebannt, in einer Art Trance der Andacht, die Bergschräge hoch, diesen grünen, von Wiesenblumen besprenkelten Hang, der an einem Gebirgswald endete. Und dort, bei den vier Gruppen schwarzweiß gefleckter, in der Sonne schimmernder Kühe erhob sich nun ein mächtiges Gebell. Da kam er schon angeprescht, seinen Lauf immer wieder übermütig kreiselnd unterbrechend, mächtig, unwiderstehlich, ein lohfarbennußbraun geschecktes Fell, ein gewaltiger Schädel, bernsteinfarbene Augen und eine vor Begeisterung weit heraushängende Zunge – Lupi, der Wächter der Kühe, der Sennenhund des Kofler-Hofs, Ludwigs Freund …
    Wie sollte sie soviel Begeisterung gewachsen sein? Dreißig Minuten waren sie heraufgelaufen, den steilen Weg zwischen Felsen und Farnen, durch die Stille des Waldes und die Goldspuren der Sonne.
    Und nun Lupi! Wie sollte sie ihm widerstehen? Schon beim ersten Ansturm fegte er sie um, und da lag sie nun hilflos und schreiend auf dem Rücken, während eine Waschlappenzunge ihr Gesicht naß machte …
    »Jetzt aber Schluß!« Ludwig zog ihn zurück, mußte ihn wegschieben – sein Gesicht nah über dem ihren, die lächelnden, violettblauen Augen; er gab ihr einen Kuß auf die Stirn, und hoch oben im Ultramarin des Himmels zog ein Habicht still seine Kreise …
    Daß es dies alles gab! So viel Schönheit, so viel Freude – und daß sie vergessen konnte, wie lange sie darauf gewartet hatte …
    * * *
    El baile de los días doradas … Der Tanz der goldenen Tage – es war die erste Verszeile eines Gedichts, das sie als junges Mädchen im Colegio in Lima gelernt hatte.
    Und es war ein Tanz der goldenen Tage: Ihre Ausflüge, die Wanderwege, die Hügel, Berge, Bäche
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