Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Jeans vom Leib gestreift und stand braungebrannt, sehnig, lichtschimmernd vor der Bläue des Sees. Und als ob das noch nicht ausreichte, stieß er nun einen juchzenden Schrei aus, riß die Perückenlocken vom Kopf und warf sie in die Höhe, so daß sie einen steilen Bogen beschrieben und in der Krone einer der drei Weiden landeten.
    »Ach, Isa! – Isa, Isa, Isa!«
    »Du spinnst ja vollkommen.«
    »Und ob!«
    Es sah aus, als wolle er sie in den Arm nehmen, doch dann drehte er sich blitzschnell um und warf sich ins Wasser.
    Sie schwamm nach, und beide umkreisten sich, ließen sich auf dem Rücken treiben, schlugen blitzende Wasserbögen aus dem See, die sich in tausend flirrende Perlen auffalteten, lachten, schluckten Wasser, husteten – Ferien, dachte sie, es kann nicht wahr sein, ausgerechnet mit ihm, ausgerechnet mit Ludwig Ladowsky … Ferien.
    Als sie nebeneinander auf dem Handtuch lagen, flüsterte er: »Du bist so schön, Isa …«
    Sie machte die Augen nicht auf, sie schüttelte nur den Kopf. »Das heißt nicht: ›Du bist so schön, Isa …‹ Das heißt: ›Du siehst noch ganz passabel aus, Tante Isa …‹«
    »Das wäre gelogen.« Er berührte mit den Fingerspitzen ihre Stirn und seufzte. »Und überhaupt – Tante? Hansi reicht ja schon. Aber ›Tante Isa‹, das hält man doch im Kopf nicht aus …«
    * * *
    Noch am Flughafen hatte sie überlegt, ob sie Kofler um eines der Zimmer im Haupthof bitten sollte. Gut, Ludwig war sehr jung, aber hatte nicht Kofler selbst gesagt, ein ganz fesches Mannsbild … Nun, als Isa endlich den Peugeot vor dem Haus parkte, genau an der Stelle, wo sie das letztemal den Hang hinuntergerutscht waren, schienen ihr alle Bedenken lächerlich. Er war der Sohn ihrer Schwester. Und ein Therapiefall. Basta!
    Es war noch hell. Die tiefstehende Sonne setzte die Berge in Brand, und die beiden hohen Lärchen vor dem Hof warfen ihre Schatten schräg und lang über die Wiese.
    Er stieß die Tür auf: Der Geruch – wie sie ihn kannte! Und die steile Treppe. Und dort oben auf dem Absatz hatte sie Peter Amans erste und einzige Liebeserklärung entgegengenommen und war daraufhin in ein so unbändiges Lachen ausgebrochen, daß er nichts anderes tun konnte, als mitzulachen.
    Ja, und da waren die beiden Türen: Die linke führte in das Zimmer, das damals Peter bewohnt hatte, die rechte in ihres.
    Sie stieß sie auf. Es war ein Postkartenbild, das sie erwartete, nein, das Bild, das sie vier Jahre in sich getragen hatte, ohne daß es lebendig geworden wäre, und das sie nun wieder überwältigte.
    Der Hof, die Wiesen, die Wälder – der See!
    Sie trat auf den breiten Holzbalkon, der das Haus umrundete, und seufzte …
    Sie hatten hinten in Nußdorf zu Abend gegessen, dazu einen halben Liter Roten getrunken. Nun, nach all dem Schwimmen und den anderen Anstrengungen des Tages fühlte sie sich müde und zerschlagen. Ludwig kam aus seinem Zimmer, und als hätte er es erraten, sagte er: »Du bist sicher schrecklich müde, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Ich hätte so gerne noch einen Spaziergang gemacht, aber vielleicht ist es wirklich besser, du legst dich hin.«
    »O ja«, sagte sie. Und: »Es war wunderbar.«
    »Und du freust dich, hier zu sein?«
    »Und ob!«
    Er hob die Hand, doch er streckte sie nicht nach ihr aus, nur sein Zeigefinger berührte in einer winzigen, kindlichen Geste voll zärtlicher Zuneigung ihre Stirn.
    Sie zog die Tür hinter sich zu, schloß aber nicht ab. Warum auch? Sie konnte nicht anders, als an Richard Saynfeldt zu denken und an die Art, wie er sich derartige Situationen zunutze machte …
    Kaum im Bett, schlief sie sofort ein. Irgendwann in der Nacht wachte sie auf. Der Mond warf eine breite, leuchtende Bahn über die weißgekalkten Wände und die schwarzen Balken an der Decke, die Balkontür war offen, und sie hörte den Wind dort draußen in den Bäumen …
    Schlaftrunken stand sie auf. Die Nacht, die Sterne, die Berge dort drüben und das Leuchten des Sees im Tal – sie wollte es sehen.
    Sie trat hinaus auf den Balkon und holte tief Atem.
    »Ludwig?«
    Da stand er, die Hände auf die Balkonbrüstung gelegt, und blickte hinunter zum See. Er stand, ohne sich zu bewegen, nichts als ein Schatten vor all dem Leuchten.
    »Was ist denn?«
    »Ich kann nicht schlafen.« Er drehte sich um. Seine Zähne schimmerten weiß: »Kannst du denn?«
    »Und ob!«
    »Isa, bitte …«
    »Nichts, bitte.« Sie schüttelte den Kopf und berührte, wie er zuvor ihre Stirn, jetzt seine mit dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher